Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Prof. Dr. Martin Friesl.

 

(1) Was machen Sie zurzeit beruflich? Welche Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, sehen Sie besonders von der Pandemie betroffen?

Martin Friesl: Ich bin Professor für Betriebswirtschaftslehre, insb. Strategie und Organisation an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, sowie Adjunct Professor an der NHH Norwegian School of Economics. Meine Forschung beschäftigt sich vor allem damit, wie Strategien in Unternehmen entstehen und wie strategische Transformationen in die Praxis umgesetzt werden. Dabei ist das Thema Strategie für mich nicht ausschließlich der Unternehmensleitung vorbehalten. Strategie geht jeden etwas an. Und, Strategie ist auch nur dann erfolgreich, wenn sie sich in den alltäglichen Interaktionen mit Kundengruppen, Lieferanten und Mitarbeitenden widerspiegelt. 

Dieses Verständnis von Strategiearbeit ermöglicht es, die Hintergründe, Hindernisse und tatsächlichen Treiber strategischer Initiativen und Transformationsprozesse zu erklären. Unsere aktuellen Projekte wenden dieses Verständnis auf unterschiedliche Problembereiche an, von der Synergiebewertung bei Mergers & Acquisitions, der digitalen Transformation im Mittelstand, der Restrukturierung von Unternehmen, bis hin zur Organisation von Partizipation im Strategieprozess.

Da unsere Forschungsprojekte immer das Verhalten von Personen in Organisationen untersuchen und damit primär in Kollaboration mit Unternehmen durchgeführt werden, zieht sich der Verlauf der Pandemie quer durch unsere Datenerhebungen der letzten eineinhalb Jahre: massive Unsicherheit hinsichtlich der Geschäftsentwicklung, gepaart mit enormer unternehmerischer und pragmatischer Lösungsorientierung. Für so manches Unternehmen wurde die Pandemie sogar zum Katalysator um tiefer greifende, strategische Veränderungen anzupacken (z.B. im Rahmen von Akquisitionen).

 

(2) Wie änderte sich in den Zeiten der Pandemie, Ihrer Einschätzung nach, die Bedeutung von Unternehmensverantwortung und CSR?

Martin Friesl: In meiner Wahrnehmung hat das Thema Unternehmensverantwortung und CSR bereits vor der Pandemie über die letzten Jahre zunehmend an Stellenwert gewonnen, wenn auch noch nicht in dem Ausmaß, wie man sich das wünschen würde. Gleichzeitig hat uns die Pandemie die Fragilität von Organisationen vor Augen geführt. In so manchem Sektor wurden die Schwächen der vorhandenen institutionellen, technologischen und organisationalen Rahmenbedingungen nur allzu offensichtlich. Schauen wir uns nur mal das Schulsystem an. 

Unternehmensverantwortung und CSR haben weitreichende Implikationen. Meiner Meinung nach hat die Pandemie einen zentralen Aspekt der Unternehmensverantwortung noch stärker in das Rampenlicht gerückt: Wie sollte Arbeit zeitlich, räumlich und inhaltlich gestaltet werden? Und, wie können gesunde und sichere Arbeitsplätze nicht nur im Betrieb, sondern auch zu Hause aussehen? Gerade der zuletzt genannte Aspekt erfordert ein hohes Maß an Sensibilität für die Lebensumstände der MitarbeiterInnen. Die Pandemie hat für viele Familien die örtliche und zeitliche Trennung von Arbeit, Schule, Freizeit, Hausarbeit etc. aufgelöst.

Die konstruktive Lösung dieser Herausforderungen hat mit Unternehmensverantwortung zu tun. Viele Unternehmen haben mit kreativen und flexiblen Lösungen reagiert, andere wiederum mit Ignoranz. Die jeweiligen Konsequenzen dieser Reaktionen werden wir über die nächsten Jahre beobachten können.

 

(3) Wie hat die Pandemie aus Ihrer Sicht zu einer Verschiebung der gesellschaftlichen Priorisierung von Nachhaltigkeitsthemen beigetragen?

Martin Friesl: Der in der Frage benutze Begriff ‘Verschiebung’ erscheint mir zu stark und undifferenziert in diesem Kontext. Auf gesellschaftlicher Ebene kämpfen zu jedem Zeitpunkt eine Vielzahl unterschiedlicher Narrative um Aufmerksamkeit. Ich würde weniger von einer Verschiebung der Priorisierung von Nachhaltigkeitsthemen sprechen. Aus meiner Warte hat die Pandemie eher zu einer Verschmelzung oder Überlagerung verschiedener, vorher tendenziell unabhängiger gesellschaftlicher Narrative geführt. Dies hat zu einer breiteren und facettenreicheren gesellschaftlichen Debatte beigetragen. Ein paar Beispiele:

Nachhaltigkeitsthemen, wie zum Beispiel die Gestaltung urbaner Lebensräume, werden nun im Kontext der Entstehung und Ausbreitung von Infektionskrankheiten diskutiert. Pandemiebedingte Veränderungen betrieblicher Prozesse, wie die Substitution von Geschäftsreisen durch Zoom-Calls und die damit einhergehende Reduktion von CO2 Emissionen durch Flugreisen, macht die verheerende Ökobilanz unseres Mobilitätsverhaltens messbar und noch sichtbarer.

Die Verschränkung verschiedener gesellschaftlicher Narrative birgt das Potenzial, Nachhaltigkeit als inhärenten Teil unserer persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen und Handlungen zu verankern. 

 

(4) Weiter geht es mit einer Grundsatzfrage: Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?

Martin Friesl: Wir sind alle an das Funktionieren einer gut-geölten, globalen Wertschöpfungskette gewöhnt. Wir nehmen die zügige Lieferung unserer Bestellungen als nahezu gegeben hin und wir ärgern uns, wenn es mal 2 Tage länger dauert. Wirtschaften hat letztlich mit der Allokation knapper Ressourcen zu tun, das bezieht sich auf natürliche und monetäre Ressourcen genauso, wie auf Wissen oder Zeit. Die Corona-Pandemie hat hier fundamentale Schwachstellen in unseren globalen Wertschöpfungsketten offengelegt und Unternehmen müssen mit der Reallokation von Ressourcen reagieren, um diese Probleme zu lösen. Dies wird in manchen Fällen zur geographischen Verlagerung von Unternehmensaktivitäten führen, Stichwort Nearshoring. Eine durch die Corona-Pandemie verursachte, grundsätzliche Neukonzeption unserer Wirtschaftsordnung sehe ich aber nicht.

 

(5) Stichwort “The New Normal”: Welche aus der Pandemie entstandenen Potentiale sollten künftig beibehalten werden und was wünschen Sie sich aus der Zeit vor der Krise zurück?

Martin Friesl: Die Corona-Pandemie hat den Arbeitsalltag für viele Menschen stark verändert. Die Möglichkeit Arbeit flexibler zu gestalten ist gerade für Familien ein wichtiger Zugewinn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand diese Flexibilität nochmals aufgeben möchte. Gleichzeitig eröffnet die zunehmende Akzeptanz von ‚remote work‘ gerade für kleinere und mittelständische Betriebe Recruitment Potenziale, um so ggf. Standortnachteile auszugleichen. Persönlich wünsche ich mir aber wieder mehr persönliche Kontakte zurück, insbesondere die Interaktionen mit meinen Studierenden. 

 

Unternehmensverantwortung und CSR in der Krise – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe zum Thema Wirtschaftsethik in Krisenzeiten. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

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