Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Prof. Dr. Lisa Ranisch.

 

(1) Beginnen wir mit Ihrem professionellen Hintergrund. Was machen Sie zurzeit beruflich, wo engagieren Sie sich und inwiefern haben Sie einen Bezug zur Wirtschaftsethik? Wie ist Ihre Institution von der Pandemie betroffen?

Lisa Ranisch: Ich arbeite als Professorin für Nachhaltige Unternehmensführung und Angewandte Ethik an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden. Lehre und Forschung widme ich Themen der Wirtschafts- und Unternehmensethik, Corporate Responsibility, Integrity Management und Digitalethik. Außerdem leite ich den neuen Master-Studiengang “International Management & Sustainability”, der im vergangenen Wintersemester gestartet ist. Unter Corona-Bedingungen hieß dies natürlich, dass hohe Flexibilität sowohl von den Lehrenden als auch den Studierenden gefragt war. Der Studiengang konnte aber erfolgreich starten und bietet einer internationalen Gruppe an jungen Menschen die Möglichkeit, sich zukunftsorientiert weiterzubilden – was gerade in Zeiten schwieriger Arbeitsmarktbedingungen für diese wichtig ist.

Als Bildungseinrichtung war unsere Hochschule natürlich ähnlich wie die Schulen von der Pandemie und den mit ihr einhergehenden Einschränkungen betroffen. In meiner Lehre diskutiere ich mit den Studierenden regelmäßig, wie verantwortungsvolles Wirtschaften unter den Rahmenbedingungen sozialer Marktwirtschaft möglich ist. Im ersten “Corona-Semester”, als die Lehre von einem Tag auf den anderen auf digitale Angebote umgestellt werden musste, habe ich mir die Frage gestellt, wie ich die Studierenden für ethische Fragen ohne persönliche Interaktion und Diskussion im Seminarraum sensibilisieren kann. Das Fach lebt von der Auseinandersetzung am konkreten Fall. Anlass für ethische Reflexionen gab es in der beginnenden Coronakrise genügend, ebenso wie den Bedarf an Unterstützung und Verantwortungsübernahme während des ersten Lockdowns. So habe ich beides miteinander verknüpft und sozusagen “gelebte Ethik” gefördert: wenn Studierende Corona-bedingte Hilfe geleistet haben (z.B. Einkäufe für Senioren, Schülerhilfe), konnten sie ihre Erfahrungen in einem Essay reflektieren und wurden von anderen Aufgaben befreit. Da die Studierenden mit rein digitaler Lehre überflutet wurden, war ein praxisorientiertes Selbststudium, das andere in den Blick nimmt, ein guter Weg, um Verantwortung zu schulen.

 

(2) Weiter geht es mit einer Evaluation der Corona-Krise: Ist diese Krise Ihrer Meinung nach eine Krise wie jede andere oder was ist das Neue an ihr?

Lisa Ranisch: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben die Wirtschaft teilweise sicherlich vor bisher unbekannte Herausforderungen gestellt, nicht nur im ökonomischen Sinne, sondern auch in ethischer Hinsicht. Kennzeichnend für Krisen ist aus wirtschaftsethischer Sicht, dass Werte wie Integrität in einer solchen Zeit besonders auf die Probe gestellt werden. So standen Unternehmen vor zahlreichen Entscheidungen, die krisenbedingt und zugleich integritätsrelevant waren: Werden die Mitarbeiter aufgrund sinkender Absätze in Kurzarbeit geschickt und wenn ja, unter welchen Konditionen? Werden erteilte Aufträge von Lieferanten nicht mehr bezahlt und abgenommen? Werden Mietstundungen verlangt? Wird eine Dividende ausgezahlt und wenn ja, in welcher Höhe?

Die Anforderungen, die im Umgang mit der Pandemie an die Unternehmen gestellt werden, sind zwar in ihrer Häufung sicherlich besonders, aber in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit denen, die verantwortungsbewusstes Handeln von Unternehmen verlangt. So weisen viele Problemstellungen im Zuge der Ausbreitung des Coronavirus dilemmatische Strukturen auf, die das konzertierte Handeln vieler bedürfen, um erfolgreich zu sein. In ähnlicher Weise sind Integritätsfragen oft dadurch gekennzeichnet, dass der gute Wille weniger Einzelner nicht zu einer Lösung des Problems führt, etwa wenn es sich um Fragen der Korruptionsbekämpfung, der Arbeitsbedingungen in einer Branche oder der Nachhaltigkeit handelt. Eine weitere Ähnlichkeit ist in der erforderlichen Schnelligkeit zu sehen, mit der Entscheidungen in Krisen, aber auch in integritätsrelevanten Situationen häufig zu treffen sind (z.B. bei lukrativen, aber moralisch zweifelhaften Geschäftschancen). Kennzeichnend für solche Situationen sind nicht zuletzt die zumeist längerfristigen und erheblichen Auswirkungen für die jeweiligen Betroffenen. Diese überschreiten im Falle der Coronakrise aufgrund ihrer Dauer und der Durchdringung fast aller Lebensbereiche bisher Bekanntes.

 

(3) Nun interessiert uns, inwiefern Sie den Umgang und die Lastenverteilung der Pandemie- Herausforderung als gerecht empfinden. Inwiefern beurteilen Sie die Lastenverteilung zwischen verschiedenen Akteuren a) aus gesamtgesellschaftlicher / gesamtökonomischer Sicht und b) aus Ihrer aktuellen beruflichen / ehrenamtlichen Sicht als angemessen und fair verteilt?

Lisa Ranisch: Da die Lasten, die mit der Corona-Pandemie entstanden sind, von einem Tag auf den anderen auf Deutschland hereingebrochen sind, kann hier von Fairness keine Rede sein. Eine gerechte Lastenverteilung bei einer solch vielschichtigen und komplexen Thematik wie einer Pandemie zu schaffen, ist eine extrem anspruchsvolle Aufgabe, der ein längerfristiger Aushandlungsprozess mit den verschiedenen Stakeholdern vorangehen müsste. Dies passiert aktuell leider zu wenig, es fehlt dafür aufgrund der Brisanz der Lage allerdings auch die nötige Zeit. Hier werden wir in der Rückschau wohl noch wichtige Lehren für zukünftige Krisensituationen ziehen können und müssen. Die beschlossenen Unterstützungsleistungen, die die Last der Betroffenen mindern sollen und denen die Mehrheit auch zustimmt, werden allerdings nicht einmal stringent umgesetzt (Stichwort “Novemberhilfen”). Hier wäre mehr Effizienz und Weitsicht in der Umsetzung wünschenswert.

 

(4) Weiter geht es mit einer Grundsatzfrage: Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?

Lisa Ranisch: Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass seit der Pandemie häufiger gefragt wird: Wie können wir unsere Wirtschaftsmodelle resilienter gestalten? Lassen sich Geschäftsmodelle in dieser Umbruchzeit anpassen bzw. entwickeln, die wirtschaftlich erfolgreich und zugleich nachhaltig sind? Die Pandemie hat somit sicherlich eine transformative Kraft, besonders angesichts ihrer Dauer. In diesem Kontext ist auch die Diskussion über neue Rechtsformen wie die “Gesellschaft in Verantwortungseigentum” sinnvoll. Sie würde dem Stiftungsmodell ähneln und das langfristige Verfolgen eines Unternehmenszwecks jenseits des reinen Profitstrebens ermöglichen.

Im Einzelnen haben einige Unternehmen während des Lockdowns im Frühjahr 2020 jedoch bereits bewiesen, dass Corporate Responsibility nicht nur in Hochglanzbroschüren präsentiert, sondern auch in Krisenzeiten gelebt werden kann. Ein Beispiel aus der Textilbranche: Während einige Firmen einfach ihre Zulieferer nicht mehr bezahlt haben oder Bestellungen kurzerhand stornierten, haben andere nach gemeinsamen Lösungen gesucht, um Lieferantenbeziehungen aufrecht zu erhalten. Unserem vorherrschenden Wirtschaftsmodell eher fremd erscheinende Werte wie Solidarität können so negative Folgen einer Pandemie für Betroffene abfedern und für eine lebensdienliche Ökonomie wichtige Ressourcen wie Vertrauen schaffen.

 

(5) Nun zur letzten Frage: Sehen Sie die Postwachstumsökonomie als eine Antwort auf die Corona- Krise oder vertrauen Sie auf die Vision eines ökologischen Wachstums als Weg aus der Krise?

Lisa Ranisch: Bei bei der aktuellen Messung von Wachstum insbesondere durch das BIP ist ein dauerhaftes Wachstum unter Berücksichtigung ökologischer Grenzen schwer denkbar. Um die negativen ökonomisch Folgen der Corona-Krise kurzfristig zu überwinden, scheint Wachstum aktuell aber leider die naheliegendste Lösung – für ein alternatives Wirtschaftsmodell, das während der Pandemie breitflächig umgesetzt werden könnte, gibt es bisher keinen Konsens. Alternativen wie etwa die Donut-Ökonomie sind immerhin längst entwickelt und bedürfen mutiger PolitikerInnen, UnternehmerInnen und BürgerInnen, um ausprobiert zu werden. Je mehr wir den (menschengemachten) Ursachen der Pandemie auf den Grund gehen werden, desto eher glaube ich daran, dass wir die Notwendigkeit eines Wandels erkennen werden, in dem Nachhaltigkeit, Gesundheit und Resilienz einen höheren Stellenwert haben werden als das BIP-Wachstum. Dieses als Wohlstandsindikator zu verwenden, ist schon lange nicht mehr zeitgemäß.

 

Unternehmensverantwortung und CSR in der Krise – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe zum Thema Wirtschaftsethik in Krisenzeiten. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.
 

Ähnliche Beiträge

Gemeinsame Studie der Universität St. Gallen und der TU Dresden Das Erstarken rechtspopulistischer...

Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung,...

Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung,...

Hinterlassen Sie eine Antwort