Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Prof. Dr. Harald Bolsinger.

 

(1) Beginnen wir mit Ihrem professionellen Hintergrund. Was machen Sie zurzeit beruflich, wo engagieren Sie sich und inwiefern haben Sie einen Bezug zur Wirtschaftsethik? Wie ist Ihre Institution von der Pandemie betroffen?

Harald Bolsinger: Als digital ausgerichteter Wirtschaftsethiker an der FHWS Hochschule für angewandte Wissenschaften, sind Unternehmens- und Wirtschaftsethik mein täglich Brot in Forschung und Lehre. Wie alle Präsenzhochschulen weltweit, sind wir in allen unseren Kernprozessen und dem Kerngeschäft Lehre und Forschung mit der Disruption konfrontiert worden. Es wurde quasi über Nacht notwendig, soweit als irgend möglich unseren Auftrag weitestgehend digital zu erfüllen. Nachdem wir an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der FHWS schon seit Jahren über eine Digitalstrategie und eine exzellente digitale Infrastruktur an der FHWS insgesamt verfügen, konnten wir auf Grundlagen aufbauen, die anderen vielleicht noch fehlten.

 

(2) Weiter geht es mit einer Evaluation der Corona-Krise: Ist diese Krise Ihrer Meinung nach eine Krise wie jede andere oder was ist das Neue an ihr?

Harald Bolsinger: Diese Pandemie zeichnet sich durch globale Disruption gleichzeitig in zahlreichen Teilsystemen unserer Gesellschaften aus. Wir sehen dadurch überall strukturelle Erschütterungen mit dem daraus folgendem Zwang zur Neuordnung. Das Besondere ist die hohe Geschwindigkeit der Problementstehung, die sofortige Reaktionen mit gleichzeitig existentiellen Auswirkungen nötig gemacht haben. Im Grunde erleben wir Herausforderungen wie bei den meisten nachhaltigkeitsbezogenen Problemfeldern, nur eben im Zeitraffer. Gletscher schmelzen langsamer ab und der Klimawandel wird auch wesentlich langsamer spürbar, wenn auch sicher mit einer vergleichbaren Wucht.

 

(3) Nun interessiert uns, inwiefern Sie den Umgang und die Lastenverteilung der Pandemie- Herausforderung als gerecht empfinden. Inwiefern beurteilen Sie die Lastenverteilung zwischen verschiedenen Akteuren a) aus gesamtgesellschaftlicher / gesamtökonomischer Sicht und b) aus Ihrer aktuellen beruflichen / ehrenamtlichen Sicht als angemessen und fair verteilt?

Harald Bolsinger: Globale Wechselwirkungen erzwingen durch die Pandemie gemeinschaftliche Aktivitäten, die in einer freien Welt aber nur freiwillig und selbstorganisatorisch koordinierbar sind. Natürlich ist die Last nicht angemessen und fair verteilt –  weder innerhalb der Industrieländer noch innerhalb der Weltgemeinschaft. Die Ärmsten der Ärmsten tragen die verhältnismäßig größte Last, weil sie sofort und existenziell betroffen sind. Hier gilt es als globale Gemeinschaft Ausgleich zu schaffen und wie auch in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen verankert, niemanden zurück zu lassen bzw. seinem Schicksal ohne Unterstützung zu überlassen.

Die strukturellen Schwächen unserer gesellschaftlichen Teilsysteme werden durch die Pandemie schonungslos offengelegt und noch verstärkt: globale Lieferketten und just-in-time-Produktion sind fragil, soziale Ungleichgewichte im Bildungsbereich werden durch Digitalisierungsmängel verstärkt, begrenzt vorhandene Kapitalpuffer und Schuldentragfähigkeit schränkt Handlungsspielräume ein, usw. usw. Daraus ergibt sich nicht nur die Pflicht, all diesen Herausforderungen systematisch und in der Sichtweise eines globalen Nexus menschlichen Lebens zu begegnen, sondern gleichzeitig auch die Chance, lange versäumte Entwicklungsschritte nun so anzugehen, dass wir dem Paradigma der Nachhaltigkeit endlich gerecht werden können.

 

(4) Weiter geht es mit einer Grundsatzfrage: Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?

Harald Bolsinger: Nachdem die Krise auch strukturelle Stärken offenlegt, haben wir bereits einen Anstoß zur Diskussion – und diese findet ja auch schon intensiv statt. Beispielsweise stellt sich Subsidiarität als ein starkes und Demokratie sicherndes Element wettbewerblich geprägter Krisenbewältigung heraus! Kommunen setzen Krisenmanagement passgenau um und benötigen dazu Ressourcen. Der Staat tritt zwar als wirkmächtiger Akteur für Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge im Krisenfall nach unserem Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft auf, hat aber gewissermaßen einen politischen Dauerdiskurs mit eingebaut, durch breite Entscheidungshoheit in Landesregierungen. Diese laufend nötige Relegitimierung von Entscheidungen im Wettstreit zeigt bereits, wie eine Neukonzeption aussehen kann, die zumindest in der Politik bereits eingeübt wird: Ein diskursethischer Multistakeholderansatz mit dem dauerhaft Lagen neu bewertet werden und der von regionalen Besonderheiten geprägt zu unterschiedlichen Lösungen für ein und dasselbe Problem führt. Corona sorgt durch die damit zusammenhängenden Herausforderungen für eine gesellschaftliche Neubewertung von Zielen, Sinngebungen und Wertrangordnungen und regt in allen relevanten Bereichen zum Hinterfragen des Status-Quo an. Wir werden deshalb nicht einfach weiter machen wie vor der Krise – das ist klar!

 

(5) Nun zur letzten Frage: Sehen Sie die Postwachstumsökonomie als eine Antwort auf die Corona- Krise oder vertrauen Sie auf die Vision eines ökologischen Wachstums als Weg aus der Krise?

Harald Bolsinger: Wirtschaftliches Wachstum kann nur einer rationalen Logik vor dem Hintergrund unserer zunehmenden Weltbevölkerung folgen. Sicherlich ist Suffizienzstreben ein genau so wichtiger Faktor wir Effizienzstreben, um Fortschritt langfristig tragfähig für alle Menschen zu gestalten, aber sich einfach von wirtschaftlichem Wachstum zu verabschieden, schafft mehr neue Probleme als damit vermeintlich gelöst werden. Wenn die Weltbevölkerung wächst – und das tut sie nun einmal – brauchen wir ebenso Wirtschaftswachstum, um die vielen Menschen zu versorgen. Es kommt deshalb vor allem darauf an, dieses Wachstum sinnvoll zu verteilen und segnend umzugestalten – nicht nur ökologisch tragfähig und ressourcenentkoppelt, sondern vor allem menschendienlich und gerecht in jeglicher Hinsicht: intergenerativ und intragenerativ. Aus dieser Krise kommen wir nicht DURCH Wachstum, sondern MIT Wachstum und vor allem sozialen, ökologischen und gesundheitsbezogenen Innovationen in allen Sektoren weltweit. Wir sollten demnach nicht den Fokus zu stark auf die erfolgsnotwendige Nebenbedingung Wachstum setzen, sondern auf den Kern gemeinsamen Menschseins: der Humanität und der Würde aller Menschen. Wie können wir diese inmitten der Krise sichern? Das ist die entscheidende Frage, um diese Pandemie aus dem Krisenmodus in eine beherrschbare Herausforderung zu überführen.

 

Unternehmensverantwortung und CSR in der Krise – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe zum Thema Wirtschaftsethik in Krisenzeiten. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.
 

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