Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Dr. Christian Schilcher.

 

(1) Beginnen wir mit Ihrem professionellen Hintergrund. Was machen Sie zurzeit beruflich, wo engagieren Sie sich und inwiefern haben Sie einen Bezug zur Wirtschaftsethik? Wie ist Ihre Institution von der Pandemie betroffen?

Christian Schilcher: Ich arbeite als Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung und beschäftige mich in dieser Funktion mit Fragen zu CSR und regionalem Unternehmensengagement. Wir haben in der Stiftung recht schnell überlegt, wie wir inhaltlich auf die Pandemie reagieren. Neben anderen Aktivitäten haben wir dann die Seite csr-corona.de ins Leben gerufen. Dort findet man eine Reihe von Beispielen, wie sich Unternehmen für Beschäftigte und Gemeinwesen während der Ausbreitung des Virus engagiert haben. Es finden sich auf csr-corona.de aber auch unterschiedliche Debattenbeiträge, die sich um die Frage drehen, wie sich Unternehmensverantwortung durch Corona wandelt. Dort ist auch ein Thesenpapier verlinkt, das wir als Projektteam angestoßen haben. Einige Gedanken, die hier in den folgenden Antworten enthalten sind, finden sich dort wieder und noch etwas näher beleuchtet.

Neben dieser inhaltlichen Dimension hat mich die Pandemie aber auch ganz persönlich in der Art meines Arbeitens verändert. Das Homeoffice ist mittlerweile zu einem selbstverständlichen Element meiner Arbeitsweise geworden und ich habe viel Neues gelernt über digitale Formate des Besprechens und Austauschens.

 

(2) Weiter geht es mit einer Evaluation der Corona-Krise: Ist diese Krise Ihrer Meinung nach eine Krise wie jede andere oder was ist das Neue an ihr?

Christian Schilcher: Einerseits denke ich, eine Krise kann nicht “wie jede andere” sein, v.a. nicht in der Wahrnehmung derjenigen, die betroffen sind. Eine Krise ist ein akuter Zustand mit einem starken Bezug zum Hier und Jetzt. Und in der Tat war und ist die Art und Weise, wie sich Lebensgewohnheiten in kurzer Zeit für alle spürbar veränderten etwas Außergewöhnliches. Arbeit, Schule, Mobilität, Familie, Freizeit, Freundschaft, Konsum, Kultur und vieles mehr, überall wurden in einem bisher unbekannten Maße Routinen unterbrochen. Andererseits denke ich, dass gerade dieses Moment der unterbrochenen Routinen etwas ist, das man als einen gemeinsamen Nenner von Krisen überhaupt identifizieren könnte. Krisen zeigen, dass Dinge nicht einfach automatisch immer so weiterlaufen wie wir sie auf der Vergangenheit gewohnt sind. Und damit ist jede Krise stets auch ein Zeitraum, der die Möglichkeit bietet, alte Routinen zu beenden, um zukünftig anders fortzufahren.

 

(3) Nun interessiert uns, inwiefern Sie den Umgang und die Lastenverteilung der Pandemie- Herausforderung als gerecht empfinden. Inwiefern beurteilen Sie die Lastenverteilung zwischen verschiedenen Akteuren a) aus gesamtgesellschaftlicher / gesamtökonomischer Sicht und b) aus Ihrer aktuellen beruflichen / ehrenamtlichen Sicht als angemessen und fair verteilt?

Christian Schilcher: Durch Corona ist deutlich geworden, dass alle gesellschaftlichen Gruppen Verantwortung übernehmen müssen, wenn es gilt, große gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern. Ein tatkräftiger Staat, eine agile Zivilgesellschaft, verantwortlich handelnde Unternehmen, eine mithelfende Bevölkerung, all das sind Elemente, was es für die Bewältigung von Krisen braucht. Kurz gesagt: Alle müssen anpacken. Solidarität und Zusammenhalt sind dabei wichtige “Schmiermittel”, damit die unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteure an einem Strang ziehen. Daher ist es wichtig, dass es im Laufe der Krise nicht zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen Krisengewinnern und – verlieren und einem wachsenden Misstrauen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen kommt. Ich glaube, dass an der Gerechtigkeit der Lastenverteilung und an der Transparenz der Maßnahmen beständig gearbeitet werden muss. Das ist weniger ein Zustand, sondern mehr ein Prozess. Diesen Prozess in Deutschland zu intensivieren und Verbesserungen bei ungleichen Lastenverteilungen und wechselseitigem Vertrauen zu erreichen, ist sicher ein Gebot der Stunde, wenngleich Deutschland hier im internationalen Vergleich meines Erachtens immer noch vergleichsweise gut dasteht.   

 

(4) Weiter geht es mit einer Grundsatzfrage: Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?

Christian Schilcher: Durch die Pandemie ist eine Perspektive auf Wirtschaft und Unternehmen prominenter geworden, die sagt: Wir müssen zukünftig Unternehmen stärker danach bewerten, welche Nutzen sie für die Gesellschaft haben und weniger danach, welchen Gewinn sie machen. Die Suche nach einer neuen Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem hat durch Corona sicher neue Nahrung erhalten.

Es steht jedoch auf einem anderen Blatt, ob die Pandemie als Chance für eine nachhaltige, ökologisch-soziale Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft genutzt oder ob sie als Bestätigung für alte Muster des Wirtschaftens herangezogen wird. Beobachten wir derzeit lediglich Debatten oder stehen wir am Beginn von wirklichen wirtschaftlichen Veränderungen? Es scheint sich durch Corona durchaus ein Möglichkeitsraum eröffnet zu haben. Wie dieser aber genutzt oder nicht genutzt wird, liegt an den Handlungen von Akteuren, die Macht besitzen oder Einfluss entwickeln können.

 

(5) Nun zur letzten Frage: Sehen Sie die Postwachstumsökonomie als eine Antwort auf die Corona- Krise oder vertrauen Sie auf die Vision eines ökologischen Wachstums als Weg aus der Krise?

Christian Schilcher: Diese letzte Frage ist meines Erachtens eine besonders schwere Frage. Wir stecken noch mitten in der akuten Corona-Krisensituation und wollen gleichzeitig schon aus den zurückliegenden Erfahrungen Schlüsse ziehen, über Zukunftskonzepte diskutieren und Antworten auf die Krisenerfahrung formulieren. Das ist sicher eine riesige Herausforderung, für die es ein großen, gemeinsames Nachdenken braucht.

Schauen wir auf die Wirtschaft, dann hat sich auf der einen Seite gezeigt, dass Unternehmen für das Bearbeiten von Krisen nützliche und leistungsfähige Beiträge erbringen können. Auf der anderen Seite wurde aber auch deutlich, dass Wirtschaft kein solitäres System ist, denn deren Protagonisten – die Unternehmen – können in der Krise nicht losgelöst von gesellschaftlichen Unterstützung agieren.

Vielleicht könnte eine zentrale Antwort auf die Pandemie darin bestehen, dass wir uns weiter von Prinzipien der Wettbewerbsökonomie entfernen und dafür die Idee einer sektorenüberspannenden Kooperationsökonomie vorantreiben sollten, die die Shareholderorientierung von Unternehmen minimiert und sich v.a. danach ausrichtet, welchen gesamtgesellschaftlichen Nutzen das Wirtschaften von Unternehmen erbringt und zwar national wie international. Weniger Wachstum, anderes Wachstum. Solche Fragen würden dann nicht im akademischen oder politischen Diskurs verbleiben, sondern kämen viel stärker als bisher in die Abstimmung zwischen Unternehmen, Verbänden, Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bürger:innen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um Wirtschaft konsequent in den Kontext gesamtgesellschaftlicher bzw. globaler Interessen einzubetten und damit herrschende ökonomische Prinzipien vom Kopf auf die Füße zu stellen.

 

Unternehmensverantwortung und CSR in der Krise – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe zum Thema Wirtschaftsethik in Krisenzeiten. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.
 

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