Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Dr. Barbara Castrellon Gutierrez.

 

(1) Was machen Sie zurzeit beruflich? Welche Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, sehen Sie besonders von der Pandemie betroffen?

Dr. Barbara Castrellon Gutierrez: Im Moment liegen mir zwei Projekte am Herzen: Einmal das BMBF- und ESF- geförderte Verbundprojekt “AgilHybrid”, bei dem wir Mittelständlerinnen und Mittelständler unterstützen, die sich der Herausforderung stellen, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Pandemie hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, dass der deutsche Mittelstand auf Digitalisierung setzt! Unser Schwerpunkt liegt bei “AgilHybrid” darauf, Menschen zu befähigen digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln und in diesem Veränderungsprozess Nachhaltigkeitsaspekte wie das Thema “Gute Arbeit” zu integrieren. Wir unterstützen mit den im Projekt entwickelten Tools den deutschen Mittelstand damit dieser auf Krisen wie die Corona Pandemie oder die Klimakrise besser reagieren kann und bringen ihn damit weiter auf den Weg in Richtung Nachhaltigkeit!

Das andere Projekt, dass mir sehr am Herzen liegt nennt sich “MUTterschaftlerin”. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen, die auch Mütter sind, habe ich im Jahr 2019 das Netzwerk gegründet. Familien sind aus vielerlei Gründen besonders hart von der Corona Pandemie betroffen, sei es, weil Kinder über lange Zeit nicht, wie gewohnt, betreut werden konnten oder weil es für die Mütter im Homeoffice keinen ruhigen Arbeitsplatz gibt. Während der Corona-Pandemie hat die Performance von uns Wissenschaftlerinnen gelitten. Insbesondere in dieser kritischen Situation hat mir das Netzwerk Unterstützung gegeben. Ob es der Raum zum Austausch war oder auch praktische Hilfestellungen, wie eine Anleitung zum Schreiben mit der POMODORO-Technik, die ich nur weiterempfehlen kann!

 

(2) Wie änderte sich in den Zeiten der Pandemie, Ihrer Einschätzung nach, die Bedeutung von Unternehmensverantwortung und CSR?

Dr. Barbara Castrellon Gutierrez: Unternehmen stehen im Nachhaltigkeitskontext häufig als Problemverursacher im Mittelpunkt. Die Pandemie zeigt, dass Unternehmen auch eine herausragende Bedeutung als Problemlöser haben. So war die Motivation der verstärkten Nutzung von Remote-Arbeiten Kontakte zu reduzieren. Für Unternehmen ergaben sich dadurch Kosteneinsparungen z. B. für Miete, Heizung und Wasser. Für die Mitarbeitenden ergaben sich Potentiale aus den wegfallenden Fahrten zum Arbeitsplatz. 

Um Potentiale weiter ausschöpfen zu können, sollten aus meiner Sicht die Unternehmen noch stärker dabei unterstützt werden, ökologische und soziale Verantwortung zu übernehmen. Insbesondere der Nachhaltigkeitsorientierung von kleinen und mittleren Unternehmen kommt eine Schlüsselrolle zu, da sie 99,4 % der deutschen Unternehmen ausmachen. Ihnen sollten gezielt Unterstützungsmöglichkeiten auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeitsengagement angeboten werden. Sei es beispielsweise über eine Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen für die Mitarbeitenden oder über Subventionen für die Nutzung nachhaltiger Technologien.

 

(3) Wie hat die Pandemie aus Ihrer Sicht zu einer Verschiebung der gesellschaftlichen Priorisierung von Nachhaltigkeitsthemen beigetragen?

Dr. Barbara Castrellon Gutierrez: Die Umweltbewusstseinsstudie der Bundesumweltministeriums und der Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2020 zeigt, dass trotz der Pandemie Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen eine hohe Bedeutung zugesprochen wird. Themen, wie “Zustand des Bildungswesens” und “Zustand des Gesundheitssystems” sind für viele Menschen realer geworden. Unter anderem deshalb sind viele Bürgerinnen und Bürger bereit einen konkreten Beitrag, zum Beispiel zu mehr Klimaschutz, zu leisten. Auch, wenn das für sie mit höheren Kosten verbunden ist.

Was mir allerdings auffällt, ist die Spaltung, die sich zu diesem Thema durch unsere Gesellschaft zieht. Und, dass die Kritiker sehr laut und unsachlich argumentieren. Information und Aufklärung sowie ein konsequentes Vorgehen bei der Verbreitung von Falschaussagen sind meiner Meinung nach wichtige Instrumente, um wieder mehr Sachlichkeit in die Diskussionen zu bringen und noch mehr Menschen von der Notwendigkeit eines Umdenkens in Richtung Nachhaltigkeit zu überzeugen!

 

(4) Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?

Dr. Barbara Castrellon Gutierrez: Die Corona-Krise zeigt aus meiner Sicht, dass die von der Wissenschaft seit Jahrzehnten aufgezeigten Probleme wirklich real sind. Es geht nicht mehr darum, ob wir handeln wollen, oder nicht. Die Corona Pandemie zeigt, dass wir zum Handeln gezwungen werden. Viele Menschen haben verstanden, dass nicht nur Extremwetterereignisse zunehmen werden, sondern dass die Folgewirkungen unserer Art zu wirtschaften und zu handeln sich vielfältig zeigen können, wie eben in der Pandemie oder der Zunahme von Flüchtlingsströmen nach Europa.

Aus meiner Sicht müssen wir etwas an unserer Wirtschaftsweise hin zu einer öko-sozialen Marktwirtschaft ändern. Wie schnell wir diese Transformation vollziehen liegt in unserer Hand. Eins ist aus wissenschaftlicher Sicht aber klar: Je länger wir unser Handeln hinauszögern, desto teurer wird der Transformationsprozess für unsere Gesellschaft. So lieferte Nicholas Stern bereits im Jahr 2006 eine ökonomische Begründung für ein schnelles und umfassendes Engagement im Klimaschutz. Er belegte in seinem Bericht: Klimaschutz kostet, aber der wirtschaftliche Schaden wird umso größer, wenn keine Maßnahmen zum Schutz des Klimas erfolgen. Im Moment erleben wir zudem, dass die ökonomischen Kosten nur eine Seite sind. Der soziale Schaden darf meiner Meinung nach nicht unterbewertet werden.

 

(5) Stichwort “The New Normal”: Welche aus der Pandemie entstandenen Potentiale sollten künftig beibehalten werden und was wünschen Sie sich aus der Zeit vor der Krise zurück?

Dr. Barbara Castrellon Gutierrez: Wir haben in unserem Team bereits vor der Pandemie versucht die Potentiale der Digitalisierung bei der Gestaltung unseres Arbeitsalltags zu nutzen. Wir arbeiten mit digitalen Tools, wie Trello und Slack und treffen uns regelmäßig zu digitalen Teammeetings in Zoom. Die coronabedingte Umstellung all unserer Lehrveranstaltungen an der Martin-Luther-Universität haben wir als Team deshalb erfolgreich vollzogen. Belohnt wurde dies mit dem “@ward – Preis für multimediales Lehren und Lernen 2020”, welchen meine Kolleginnen und Kollegen Frau Prof. Dr. Anne-Katrin Neyer, Miriam Bachmann und Felix Wirges für die beste durchgeführte Lehrveranstaltung an der Martin-Luther-Universität erhalten haben. Wir haben aber schnell gemerkt, dass sich vor allem der Alltag unserer Studierenden grundlegend verändert hat. In einem Forschungsprojekt an unserem Lehrstuhl haben Christian Hoßbach, Miriam Bachmann und Kristina Roth unsere Studierende im Lockdown Anfang 2021 über 3 Wochen mit einem app-basierten Reflexionstagebuch begleitet. Eine Interventionsgruppe hat, basierend auf den Reflexionsdaten, ein Coaching zur proaktiven Gestaltung ihres Studienalltags erhalten. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Interventionsgruppe eine Stärkung der Selbstführungskompetenz, kreativen Selbstwirksamkeitserwartung und Resilienz aufzeigt. Diese Erkenntnis sollte in die Ausgestaltung zukünftiger Unterstützungsangebote für Studierende einfließen und damit einen Beitrag zum Thema Gute Arbeit und Nachhaltigkeit leisten.

Und zu der Frage, was ich mir aus der Zeit vor der Krise zurück wünsche, kann ich nur sagen: Unbeschwerte Begegnungen! Sei es beruflich bei internationalen Konferenzen oder auch privat mit Familie und Freunden. Die Leichtigkeit vermisse ich sehr!

 

Unternehmensverantwortung und CSR in der Krise – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe zum Thema Wirtschaftsethik in Krisenzeiten. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

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