Von: Matthias Kapp

 

Nachbericht zum fünften Webcast im Rahmen der DNWE-Veranstaltungsreihe 2020

Als krönender Abschluss der virtuellen Veranstaltungsreihe kann die mit über 140 Teilnehmer_innen besuchte Veranstaltung zum aktuellen Thema “Social Compliance and Human Rights – Menschenrechte als Sorgfaltspflicht” am 17. Dezember 2020 bezeichnet werden. Gemeinsam mit dem Forum Compliance & Integrity (FCI) widmete sich die Veranstaltung der Debatte um die Einführung eines Lieferkettengesetzes für faire Löhne und Arbeitsbedingungen in Drittländern.

Zeitgleich zur Veranstaltung am 17.12.2020 erörterte die deutsche Bundesregierung die Einführung eines Lieferkettengesetzes, das Unternehmen schon bald zu menschenrechtlicher Sorgfalt in der Lieferkette verpflichten und für Verstöße entlang ihrer Wertschöpfungsketten haftbar machen könnte. Vergleichbare Bemühungen zum Thema “Menschenrechte und gute Arbeit in globalen Lieferketten” wurden dabei jüngst auch auf europäischer Ebene beschlossen. In der Schweiz scheiterten ähnliche Pläne zur Umsetzung der sogenannten Konzernverantwortungsinitiative im Rahmen einer Volksabstimmung, die zwar mit 50,7 Prozent die erforderliche Mehrheit in der Bevölkerung erzielte, allerdings an der zusätzlich benötigten Ständemehrheit missglückte.

Gemeinsam mit den geladenen Referent_innen näherte sich die Diskussion den politisch hoch brisanten Fragen der Grenzen der Unternehmensverantwortung. Was muss von Unternehmen erwartet werden? Was kann man ihnen abverlangen? Welchen Herausforderungen stehen Unternehmen bei der Durchsetzung von Menschenrechten und Umweltstandards gegenüber?

 

Phänomenologischer Zugang und rechtssystematische Einordnung

Nach einer Begrüßung durch Prof. Dr. Stephan Grüninger, Vorstandsvorsitzender des DNWE und Direktor des Forum Compliance Integrity (FCI), führte Patrick Späth, Partner der internationalen Anwaltssozietät Morrison & Foerster in seiner Funktion als Co-Moderator in die Thematik ein und strukturierte die folgenden Vorträge grob in zwei Themenblöcke: (1) gesetzlichen Regelungen und (2) deren praktische Umsetzung.

Anschließend schaffte Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte e.V. einen phänomenologischen Zugang zur Thematik. Durch das rapide Wachstum des Welthandels und das Phänomen der Externalisierung von Produktionen, machen globale Wertschöpfungsketten mittlerweile 80 Prozent des Welthandels aus und sind Existenzgrundlage für 450 Millionen Menschen weltweit. Um die Globalisierung gerechter zu gestalten, versuchten internationale Organisationen (WTO, ILO, OECD, UN) sich an der Ausgestaltung bspw. eines Kataloges von Grundwerten aus den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen und Umweltschutz. Letztendlich scheiterten diese an den nationalen Standards der Produktionsländer, da in vielen Ländern keine aktive Ausgestaltung der gewünschten Bedingungen im Rahmen eines Gesetzes definiert wurde.  Dieses System der Externalisierung produziert inzwischen Schäden und Kosten, die nicht mehr nur weit weg anfallen, sondern zunehmend – beispielsweise beim Klimawandel – im “globalen Norden” angekommen sind. Dies ist nur einer der vielen Gründe, weshalb ein nationales Lieferkettengesetz dringend benötigt werde.

Dr. Thomas Volland, Partner für öffentliches Recht, Europa und Völkerrecht bei der Clifford Chance Deutschland LLP und Dr. habil. Birgit Spiesshofer, Of Counsel bei Dentons Europe und u.a. Autorin des Grundlagenwerks “Unternehmerische Verantwortung. Zur Entstehung einer globalen Wirtschaftsordnung”, knüpften an Herrn Windfuhrs phänomenologische Einführung mit einem Koreferat zur Rechtssystematischen Einordnung der Themen “Social Compliance” und “Menschenrechte” an. Nach kurzem Überblick über bereits vorhandene Rechtssysteme und Initiativen auf nationaler Ebene, betonten Herr Dr. Volland und Frau Dr. Spiesshofer, dass die Vielzahl nationaler Initiativen regulierend tätig zu werden, zu einer erheblichen Rechtszersplitterung und Fragmentierung des europäischen Binnenmarktes führen könnten und zeitgleich an den territorialen Grenzen des Rechtsstaates scheitern würden. Um diese Lücke zu schließen, sei ein neues Instrumentarium zwingend erforderlich: ein Smart Mix an Instrumenten und Akteuren, um sich dieser Problematik anzunehmen.

 

Unternehmerische Herausforderungen von komplexen Lieferketten

Nach diesem Zugang zur Thematik, eröffnete Patrick Späth die Paneldiskussion für die weiteren Referent_innen, welche vornehmlich aus der Unternehmenspraxis ihre Erfahrung teilten. Jochen Jütte-Overmeryer, Rechtsanwalt und Berater von Unternehmen und Verbänden der Modebranche, nahm Stellung zur Frage: Welche Verantwortung können Unternehmen übernehmen? Laut ihm ergebe sich kein Problem durch fehlende gesetzliche Ausgestaltung. Vielmehr sei es die fehlende Umsetzung, die fehlende gesetzliche Durchsetzungsmöglichkeit, mit denen Unternehmen in der Textilbranche zu kämpfen haben.

Nachfolgend nahm Sara Martin, Head of Public Affairs der Nestlé Deutschland AG Stellung zu den Fragen, welche Problemfelder sich entlang globaler Wertschöpfungsketten auftäten, wo man Einfluss nehmen könne und wo sich Herausforderungen oder gar Grenzen finden ließen. Am Beispiel von Kakao erläuterte Sie die Komplexität und Kleinteiligkeit von Lieferketten. Transparenz in der eigenen Lieferkette sei dabei immens wichtig. Von profanen Überprüfungen, welche Farmen den Kakao für spezifische Produkte liefern, bis hin zur Überprüfung, dass Kinderarbeit und deren fördernde Faktoren in keiner Weise auftreten, sollten nicht nur im Mission Statement des Unternehmens festgehalten werden, sondern aktiv bekämpft werden. Das von Nestlé ins Leben gerufene Child Labor Monitoring and Remediation System, (CLMRS) leistet hierbei beispielsweise einen immensen Beitrag zur Bekämpfung von Kinderarbeit.

Auch Thomas Seeger, Chefjustiziar der Alfred Ritter GmbH & Co KG mit Sitz in Waldenbuch, schilderte die Herausforderungen der Wertschöpfungskette am Beispiel des Rohstoffes Kakao. Als mittelständisches Unternehmen verfüge das Unternehmen zwar nicht über die gleichen Ressourcen wie der Global Player Nestlé, jedoch stehe deren soziales Engagement dem des multinationalen Konzerns in nichts nach.  In Nicaragua baue Rittersport in enger Zusammenarbeit mit den Erzeugergenossenschaften 100% zertifiziert nachhaltigen Kakao an. Aktuell stehe die Rittersport Gmbh & Co. KG vor der Herausforderung, das in Nicaragua erfolgreiche Modell auf Westafrika zu übertragen und zu implementieren.

Als letzter Vertreter der geladenen Unternehmen berichtete Marc-André Bürgel, Head of Social Compliance innerhalb des Ressorts Integrität und Recht der Daimler AG und in dieser Funktion verantwortlich für die Konzeption, Gestaltung und Umsetzung der Menschenrechts-Compliance, über Einflussfaktoren der tagtäglichen Arbeit der Daimler AG. Laut ihm könne menschenrechtliche Sorgfalt nur dann effektiv sein, wenn die gesellschaftliche Perspektive miteinbezogen wird, anstatt rein rechtlich über die Thematik zu diskutieren. Im Folgenden ging Herr Bürgel kurz und prägnant auf die größten Herausforderungen der Daimler AG ein, welche sich zusammenfassend mit einem Stichwort beschreiben lassen: Komplexität. Bei 60.000 Lieferanten, die in der Wertschöpfungskette enthalten sind, können Menschenrechtsverletzungen auch noch in Tier 6 oder gar Tier 7 geschehen. Daher setze Daimler bei der Auswahl ihrer direkten Geschäftspartner darauf, dass diese die Gesetze einhalten und ethische Grundsätze befolgen. Dies wird mithilfe einer risikobasierten Integritätsprüfung durchgeführt, um mögliche Integritätsverstöße frühzeitig identifizieren zu können.

 

Fortschritte im Gesetzgebungsverfahren

Abschließend berichtete Anosha Wahidi, Leiterin des Stabs Nachhaltige Lieferketten, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, über die jüngsten Entwicklungen im möglichen Gesetzgebungsverfahren zu einem deutschen Lieferkettengesetz.

Das Gesetzgebungsverfahren soll in einem engen Austausch mit Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften geschehen. Es gibt laut Frau Wahidi ein starkes Bekenntnis von Kanzlerin Angela Merkel, innerhalb der jetzigen Legislaturperiode ein Gesetz durchzusetzen. Zudem hob sie die innerhalb der EU-Ratspräsidentschaft erfolgreiche Abschlussveranstaltung zu mehr Verbindlichkeit in globalen Lieferketten hervor. Frau Wahidi schilderte, dass der Europäische Rat die Kommission ersucht hat, bis 2021 einen EU-Aktionsplan auf den Weg zu bringen, dessen Schwerpunkt auf der nachhaltigen Gestaltung globaler Lieferketten und auf der Förderung von Menschenrechten, von Standards für die soziale und ökologische Sorgfaltspflicht sowie von Transparenz, liegt. Dazu gehöre auch die Aufforderung an die Kommission, einen Vorschlag für einen EU-Rechtsrahmen für eine nachhaltige Unternehmensführung vorzulegen, einschließlich branchenübergreifender Sorgfaltspflichten von Unternehmen entlang der globalen Lieferketten. Des Weiteren führte sie aus, dass spätestens im zweiten Quartal 2021 hierzu ein Initiativvorschlag der EU Kommission zu erwarten sei. Dieser basiere auf Sozial- und Umweltstandards innerhalb eines Drei-Säulen-Modells bestehend aus behördlicher Durchsetzung (1), zivilrechtlicher Haftung (2) und einer strafrechtlichen Sanktionierung (3). Das deutsche Sorgfaltspflichten Gesetz soll dabei nach Entfaltung Einfluss auf die europäische Ausgestaltung nehmen.

 

Wir danken allen Referent_innen für ihr Mitwirken zum Gelingen der erfolgreichen Veranstaltungen und allen Teilnehmenden für die befruchtenden Diskussionsbeiträge.

 

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