Klaus M. Leisinger, Die Kunst der verantwortungsvollen Führung. Haupt Verlag 2018

Das Buch trägt den Untertitel “Vertrauen schaffendes Management im internationalen Business”, und damit ist eine der wesentlichen Herausforderungen für die Führung von Unternehmen in Zeiten der Globalisierung präzise benannt. In Zeiten des politischen und wirtschaftlichen Umbruchs, der zunehmenden Komplexität und Unsicherheit, wie sie gerade das Alltagserleben der Menschen mit sich bringt, steht die Fähigkeit zur Führung in Wirtschaft und Gesellschaft ganz oben auf der Prioritätsliste. Im Hinblick auf diesen Befund herrscht allgemeine Einigkeit und ich vermute, viele werden auch zustimmen, wenn ich daraus die Schlussfolgerung ziehe, dass damit die Diskussionen der Wirtschafts- und Unternehmensethik eine neue Wendung erfahren könnte. In den nächsten Jahren wird es nicht allein und vor allem nicht in erster Linie um einzelne Bereiche wie Corporate Social Responsibilty, Compliance und Integrity oder Nachhaltigkeit gehen, sondern um die individuelle und organisationale Ethik in der Wirtschaft und ihren Unternehmen. Also um die gesellschaftlich anerkannten moralischen Prinzipien und damit um die Legitimität moderner Wirtschaft und deren Führungspersönlichkeiten. Ich denke, dass es diese Herausforderung ist, die der Verfasser vor Augen hat, und deshalb ist sein Buch auch etwas anders geraten als die üblichen Traktate über ethische Unternehmensführung. Es geht ihm ums Grundsätzliche, um die Förderung der Kompetenz zur Erkennung der moralischen Herausforderung im täglichen Geschäft, welche die Voraussetzung dafür ist, dass moralisches Handeln dort überhaupt möglich ist.

Nach Zeitdiagnose und kurzer Einführung der Geschäftsethik als prinzipiengeleitetes Nachdenken über integres Handeln und Verhalten individueller und kollektiver Akteure setzt Klaus M. Leisinger einen Kontrapunkt zur herkömmlichen Diskussion. Wenn es also richtig ist, dass moralische Qualität und Charakter der Führungspersönlichkeiten in Unternehmen einen wichtigen positiven oder negativen Einfluss auf die genannten Herausforderungen haben werden, dann ist es auch richtig, sich in der Psychologie des Menschen, des Humanen, umzusehen, was sich darüber Genaueres sagen lässt. Hier kommt dann das Werk Erich Fromms in die Diskussion, dessen Rekonstruktion und Fruchtbarmachung für die wirtschafts- und unternehmensethische Diskussion den Schwerpunkt des Buches ausmacht. Im Durchgang durch dessen Hauptwerke, die wissenschaftsgeschichtlich zur Mitte des letzten Jahrhunderts gehören, stellt sich dann die Frage, was eine “biophile”, humanistische Ethik, die in der “Kunst der Liebe” ihren stärksten Ausdruck findet, für die heutigen und zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen austrägt. Gewollt provokativ findet man diesen Sachverhalt etwa in Kapitelüberschriften wie “Kann man ein Unternehmen im globalen Wettbewerb erfolgreich mit ‘Liebe’ führen?” Das sitzt und soll ein Nachdenken über die “Kavaleriepferde beim Hornsignal” anregen, die reflexartig immer schon wissen, in welche Richtung es geht. Im Durchgang durch die Gedankenwelt Fromms zeigt sich dann, dass “Liebe”, “biophile Ethik” und “moralischer Charakter” im unternehmerischen Alltag vor allem Fürsorge, Verantwortungsgefühl, Achtung vor Anderen und Erkenntnis bedeuten, wobei Erkenntnis “das wichtigste Element guter Führung” ist. Der Leser wird sofort bemerken, dass wir damit schon sehr nahe an der zeitgenössischen Diskussion sind, die um Begriffe wie “Due Diligence”, “Corporate Responsibility”, “Inclusion” und “Integrity” kreist. Diese Beziehung wird vom Verfasser sichtbar gemacht und auf praxistauglichem Niveau erklärt. Aber nie im Stil von Ratgebern aus der Rubrik “How to become a succesful leader in one week”, sondern stets mit dem grundsätzlichen Anliegen verknüpft, Reflexionsfähigkeit zu fördern.

Darin liegt wohl der wesentliche Grund für die Rückbindung der Diskussion an das Werk Erich Fromms, dessen zeitgebundene und theoretische Schwächen der Verfasser sieht und in seiner Argumentation mitlaufen lässt. Dass sich dabei eine ganze Menge über die philosophische Ethik Fromms und dessen praktische Relevanz im 21. Jahrhundert lernen lässt, ist nicht das geringste Verdienst dieses Buches. Natürlich kann man das skeptisch sehen, und einige werden wohl auch bei dieser Haltung bleiben. Das Grundthema des Buches aber ist letztlich die Überzeugung, dass die Herausforderungen, vor denen die Menschheit weltweit steht, nicht durch ein theoretisches und praktisches “weiter so” bearbeitet werden können. Vielmehr muss sie einhergehen mit einem kontinuierlichen Neustart des Bedenkens ethischen Handelns in Wirtschaft und Gesellschaft, das in fundamentalen Kategorien und Sachverhalten der conditio humane – Menschenfreundlichkeit, Charakter, Liebe – Anhalt und Orientierung finden kann. Wer das nicht bestreitet, sollte dieses Buch lesen. Es ist eine Übung im praktisch interessierten Erkennen.

 

Über Prof. Wieland

Prof. Dr. Josef Wieland

ist Professor für Institutional Economics, Organisational Governance, Integrity Management & Transcultural Leadership und Direktor des Leadership Excellence Institute Zeppelin an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen sowie seit 2012 Vorsitzender des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik. Er ist Mitglied des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales initiierten CSR-Forums der Bundesregierung, Co-Leiter der Lenkungsgruppe „Berliner CSR-Konsens“, Co-Arbeitsgruppenleiter im Think20-Prozess zur Vorbereitung der deutschen G20-Präsidentschaft, Mitglied im Beirat der Landesregierung des Landes Baden-Württemberg für nachhaltige Entwicklung und hat an der Entwicklung des Standards ISO 26000 mitgearbeitet. Prof. Dr. Josef Wieland ist Träger des Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik 1999 des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln sowie des Preises für Angewandte Forschung (Landesforschungspreis) Baden-Württemberg 2004. Seit 2005 ist er Mitglied des Kuratoriums für die Vergabe des Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik.

wieland@dnwe.de

 

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