Über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen wird nicht erst seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gesprochen, es hat sich seitdem aber die Intensität und Qualität der öffentlichen Debatte verändert. Die Krise ist von der Gesellschaft als große Kränkung erlebt worden, weil das Versprechen der Wirtschaft auf eine friktionsfreie Dynamik nicht hielt und eine fundamentale Verunsicherung eintrat. Der unvermeidbare Eingriff des Staates im Ausnahmezustand hat aus Sicht vieler Kritiker marktwirtschaftlicher Strukturen die Verhältnisse wieder zu Recht gerückt. Zugleich wurde damit deutlich, dass Unternehmen in umfassenderer Weise Verantwortung wahrnehmen müssen.

Es geht um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Damit werden ökonomische Erwägungen in den sozialen und kulturellen Kontext gestellt. Zugleich wird deutlich, dass es unterschiedliche zeitliche, sachliche und räumliche Dimensionen von Verantwortung gibt. So können unterschiedliche Motive die Verantwortung des Unternehmers respektive des Unternehmens tragen und prägen. Die enge Ergebnisverantwortung der Unternehmen wird als grundsätzlich unzureichend bewertet. Daraus lassen sich drei Perspektiven gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen ableiten, die durch folgende Schlüsselbegriffe erfasst werden: (1) Zeit und Krise, (2) Effi zienz und Unvollkommenheit, (3) Tugend und Interesse.

Zeit und Krise

„Zeitschichten verweisen auf geologische Formationen, die verschieden weit und verschieden tief zurückreichen und die sich im Laufe der sogenannten Erdgeschichte mit verschiedenen Geschwindigkeiten verändert und voneinander abgehoben haben.“ (Koselleck 1995, S. 95)

Ökonomisches Denken drängt zur Zeitlosigkeit. Die Formalisierung der Analyse von Märkten und ihren typischen Akteuren legt nahe, dass die darauf basierende Theorie in Raum und Zeit undifferenziert gültig sei. Der Rekurs auf die unterschiedlichen historischen „Zeitschichten“ (Koselleck 1995) unterbleibt. Der Fortschritt der ökonomischen Analyse hat sich gegen die Historische Schule und eine

unrealistische historische Fundierung sowie Ableitung ökonomischer Zusammenhänge vollzogen. So Recht Gustav von Schmoller, Protagonist dieser Denkrichtung, auch mit dem Hinweis hatte, dass es keine unveränderlichen Gesetze menschlichen Handelns – zumal im sozialen Kontext – gebe, so wenig war sein Ansatz zukunftsfähig. Eine Sammlung historischer Einmaligkeiten ist kaum theoriefähig, so umfassend sie auch sein mag. Individuelle Verhaltensmuster, komplexe Strukturen und Wirkungszusammenhänge – wie sie die wirtschaftliche Realität prägen – können der Analyse nur angemessen zugeführt werden, indem die inhärenten Probleme auf ihren Kern reduziert werden.

Diesem Ansatz folgt beispielhaft die Figur des Homo oeconomicus, der als Entscheidungsmaxime nur das Eigennutzprinzip kennt; die Existenz anderer Motive – wie sozial verankerte Werte – wird zwar nicht ausgeschlossen, doch traditionell nicht thematisiert. Es wird unterstellt, dass sonstige Handlungsorientierungen ein weitgehend stabiles, nicht störmächtiges Umfeld beschreiben. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, die für die gesamtwirtschaftliche Analyse notwendige Aggregation vornehmen zu können. „Aggregierte Agenten“ abstrahieren von der Frage, die sich aus dem Zusammenwirken unterschiedlich motivierter Individuen ergibt. Der „aggregierte Agent“ der makroökonomischen Analyse ist der „typische Agent“ der mikroökonomischen Analyse. Und – so Ralf Dahrendorf – „die wirtschaftlichen Tatsachen bestätigen im allgemeinen seine Theorien, und wenn seine Voraussetzungen auch fremd und unglaubwürdig anmuten mögen, so erlauben sie dem Wirtschaftswissenschaftler doch richtige Prognosen“ (Dahrendorf 1977, S. 15).

Die ökonomische Theorie benötigt Idealtypen für das Verhalten des Individuums in seinen verschiedenen Rollen, ebenso für die Funktionsweise von Märkten und für das Verständnis von Volkswirtschaften. Soweit so gut. Doch in dem Maße, in dem die Sprache der Ökonomik formalisiert wurde, hat sich durch die damit verbundene Abstraktion von Realtypen eine stupende Geschichtslosigkeit eingeschlichen und dann dominant breit gemacht. Die Wirtschaftsgeschichte ist weitgehend an die Geschichtswissenschaft delegiert worden, die Theoriegeschichte pfl egt nicht einmal mehr ihr früheres Schattendasein als Dogmengeschichte.

Der Ausschluss der historischen Zeit hat bedeutsame forschungspraktische Konsequenzen: Er ermöglicht die Formulierung einer ökonomischen Welt in Modellen, ohne deren Voraussetzungen erörtern zu müssen. Es geht ausschließlich um die Preisbildung und die Veränderung relativer Preise als Steuerungslogik in vollkommenen, informationseffi zienten Märkten, auf denen homogene Güter gehandelt werden. Risiken sind nur eine Frage des Preises und kein spezifi sches Problem für das Design von Institutionen. Kulturelle Differenzierung, Habitus und Haltung, begrenzte Rationalität, asymmetrische Information und Transaktionskosten werden durch das institutionelle Setting als refl ektiert vorausgesetzt. Sie sind in der dominanten Theoriebildung quasi irrelevant.

Der so zu charakterisierende Mainstream ökonomischen Denkens hat in der Finanzwirtschaft seine geschäftspraktische Relevanz bewiesen. Die neoklassische Finanzmarktökonomik erlangte eine mathematische Stringenz und war höchst erfolgreich, so in der Bewertung von Finanzderivaten. Informationsprobleme, die im Kern jeder Finanzmarkttransaktion schlummern, wurden nicht thematisiert (Allen 2001). So ermöglichte diese institutionenfreie Theorie eine Industrialisierung des Kreditgeschäfts, was neue Geschäftsmodelle im Investmentbanking anregte. All dies fand unter Echtzeit-Bedingungen statt, so dass intellektuell und habituell die Differenzierungsnotwendigkeiten der historischen Zeit ausgeblendet wurden. Gewaltige Gewinne ermöglichten zuvor nicht denkbare Bonuszahlungen.

So haben anreizkompatible Gehaltssysteme in einem Umfeld ungeahnter Gewinnoptionen im Investmentbanking den Versuch befördert, Nischenwissen auszubeuten oder gar zu manipulieren. Der Fehlanreiz zu Beschleunigung und Kurzatmigkeit war damit doppelt gesetzt: Einmal durch die inszenierte Marktdynamik, zudem durch die Verdienstdynamik. „Ein Merkmal des fortgeschrittenen Pumpkapitalismus war ja die außerordentliche Kurzatmigkeit allen Handelns“ (Dahrendorf 2009). Der Verlust der historischen Zeit im ökonomischen Denken führte zu einem Handeln und einer Haltung der Finanzmarktakteure, worin sich  der Druck zum immer schnelleren Erfolg in der Rastlosigkeit der Echtzeit niederschlug.

Der Raum für Verantwortung wurde extrem verengt, weil eine weitergehende als die Ergebnisverantwortung die mutige Entscheidung verlangt hätte, bestimmte Geschäfte aufzugeben oder gar nicht erst zu machen, und zwar Geschäfte, die – wie die Verbriefung der Erst-Verlust-Tranche eines Kredits – bereits im Lichte der Theorie fragwürdig waren. Das schien nicht nur mit Blick auf die Kapitalgeber als unmöglich, es hätte zudem eine fundamentale Haltungsänderung verlangt. Denn die Macht der Finanzmarktakteure lebte von der Echtzeit-Bedingung sowie der dadurch ermöglichten Beschleunigung. Hinzu kam, dass die in der theoretischen Prägung dominante Marktform vollkommenen Wettbewerbs gerade für erweiterte Verantwortungsperspektiven keinen Raum lässt.

Von Unternehmen ist im Wettbewerb nur die Ergebnisverantwortung gefordert; sie haben unter Einhaltung der vorgegebenen Spielregeln das wirtschaftliche Ergebnis zu maximieren (vgl. Abschnitt 2). Diese Deutung sozialer Verantwortung von Unternehmen hat Milton Friedman präzise formuliert. Edmund Phelps weist hingegen darauf hin, dass bei Marktunvollkommenheiten altruistisches Verhalten die Effi zienz steigern kann, weil es Transaktionskosten senkt und Informationsasymmetrien zu überwinden hilft. Und: Solches Verhalten, das als Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung zu erfassen ist, generiert Sozialkapital und fungiert als Steuerungsressource, vor allem dort, wo marktliche Kooperation alleine nicht ausreicht. Da muss Ökonomik nicht neu gedacht, sondern nur breiter rezipiert werden.

Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen verlangt ein ermöglichendes Zeitregime für die Marktakteure. Das muss die Theorie leisten. Entlässt man die aggregierten, typischen Akteure aus der Echtzeitfi ktion und öffnet sie für die historische Zeit, dann wird ein erweitertes Verantwortungskonzept möglich. Das bedeutet zugleich, die Marktakteure in ihren historisch-kulturellen Kontext zu stellen. Denn wie kann sonst erklärt werden, dass Gesellschaften auf identische Regeln unterschiedlich reagieren. Wie kann sonst erklärt werden, dass Gesellschaften gerade nicht effi zient voneinander lernen, sondern beharrlich ihren Wege in historischen Pfaden gehen. Wie kann sonst erklärt werden, dass trotz globaler Arbeitsteilung die wirtschaftlichen Strukturen beharrlich divergieren können.

Es lohnt sich in die Komplexität der Zeitschichten einzutauchen, deren Ineinandergreifen ernst zu nehmen, um dadurch unterschiedliche Geschwindigkeiten, aber auch unterschiedliche Wirkungszeiten erfassen zu können (Hüther 2014). So führen beispielsweise die wirtschaftsstrukturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich zu einer komplexen Zeitschichtenstruktur: Eine bedeutsame Schicht ist die napoleonische Ära mit der Kontinentalsperre, eine andere die dezentrale politische Machtstruktur des Deutschen Bundes im 19. Jahrhundert. Beides erklärt Unterschiede in Ausmaß und regionaler Struktur der Industrialisierung.

Ebenso wirkt die späte deutsche Reichsgründung als relevante Zeitschicht, weil die fehlende Nationsidee das Bürgertum stärker als anderenorts für Technik und Wirtschaft öffnete, gar begeisterte und dies den Umbau das Bildungssystem hin zu den Realien (von der dualen Berufsausbildung bis zum Promotionsrecht technischer Hochschulen) beförderte. Eine weitere Zeitschicht liefert die frühe Neuzeit, in der sich die Staatlichkeit in Mitteleuropa nicht auf zentraler Ebene, sondern in den Fürstentümern ausgeprägte, was wegen der größeren Nähe die Fürsorge des Herrschers forderte; die Einführung der Sozialversicherung ab 1883 ist auch damit zu erklären.

Diese Hinweise lassen erkennen, worum es gehen muss: Die Refl exion der formalen ökonomische Theorie in der akkumulierten Erfahrung einer Gesellschaft. Nur so können die wirtschaftspolitischen Ableitungen eine praktische Relevanz erlangen und kostenträchtige Irrwege einer Echtzeit-Ökonomik verhindert werden. Natürlich gibt es übergreifende Einsichten, wie die Mechanik der Marktgesetze oder die Tragödie der Allmende (Übernutzung einer Gemeinschaftsressource). Dann – so Koselleck (1995, S. 100) – bewegen wir uns in „geschichtliche(n) Zeiten, die über die Erfahrung von Individuen und Generationen hinausweisen“. Doch selbst grundsätzliche Erkenntnisse bedürfen der Einordnung. Die Tragödie der Allmende zum Beispiel ist nur theoretisch zwangsläufi g, ihre tatsächliche Möglichkeit ist historisch-kulturell je nach innerer gesellschaftlicher Bindung sehr unterschiedlich.

So gilt: Es ist für Ökonomen – und am Ende für die Gesellschaft – ertragreich, in historischen Zeitschichten zu argumentieren und der historischen Zeit in der Theorie Raum zu geben. Wer gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen fordert, der muss darauf achten, dass die Zeitregime dies ermöglichen und dass die Zeitperspektive der Akteure dies einfangen. Eine ökonomische Theorie, die sich der historischen Bedingtheit und Differenzierung bewusst ist, liefert einen unverzichtbaren Beitrag zu dieser Erneuerung des Verantwortungskonzepts. Gesellschaftliche Verantwortung durch Unternehmen benötigt Zeit, und zwar sowohl grundsätzlich als auch in ihrer konkreten kulturellen Ausprägung.

Effizienz und Unvollkommenheit

„Unvollständige Regulierung, Marktunvollkommenheiten, Informationsasymmetrien sowie unvollständige Verträge um und im Unternehmen schaffen einen Handlungsraum für die Akteure, der durch das erwerbswirtschaftliche Prinzip weder ausreichend beschrieben noch angemessen gefüllt wird. Dies öffnet unternehmerische Geschäftsmodelle für andere Erwägungen, insbesondere für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Einbettung“ (Hüther 2015).

Der konkrete Wettbewerbsrahmen für die Unternehmen defi niert zugleich die Bedingungen ihrer Verantwortungsübernahme. Hier geht es um Marktstruktur und deren Veränderung im Zeitablauf (volkswirtschaftlicher Strukturwandel). Zwei dichotome Positionen lassen sich dafür beschreiben, die sich mit den bereits erwähnten Milton Friedman und Edmund Phelps verbinden:

Im Sinne einer Effizienzperspektive ist im Wettbewerb von den Unternehmen ihre Ergebnisverantwortung gefordert und weiter nichts; sie haben mit ihren Geschäftsmodellen einen mit Blick auf das wirtschaftliche Ergebnis optimalen Ertrag zu erwirtschaften. Dies entspricht der Position, wie sie konsistent Milton Friedman defi niert hat: „The view has been gaining widespread acceptance that corporate offi cials and labor leaders have a ‘social responsibility’ that goes beyond serving the interest of their stockholders or their members. This view shows a fundamental misconception of the character and nature of a free economy. In such an economy, there is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profi ts so long as it stays within the rules of the game“ (Friedman 1962/2002, S. 133).

Denn „a corporation is an artifi cial person and in this sense may have artifi cial responsibilities, but ‚business‘ as a whole cannot be said to have responsibilities, even in this vague sense“ (Friedman 1970, S. 33). Und: Diejenigen, die eine gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen postulieren, „are preaching pure and unadulterated socialism“ (ebd.). Friedman hat diese Überspitzung freilich später selbst relativiert: „Maximizing profi ts is an end from the private point of view; it is a means from the social point of view“ (Friedman 2005).

Im Sinne einer Unvollkommenheitsperspektive kann man darauf hinweisen, dass Unternehmen als Akteure im gesellschaftlichen Raum unvermeidlich in einem umfassenderen Verantwortungskontext stehen. Zu der Ergebnisverantwortung gesellen sich dann die Reputationsverantwortung – d.h. die Verantwortung für die eigene Akzeptanz in der Gesellschaft – und die Ordnungsverantwortung – d.h. die Verantwortung für Regeln und die Regelfi ndung. Edmund Phelps hat dies aus Sicht der ökonomischen Theorie so gefasst: „The prevalence of such altruistic conduct in non-Walrasian markets contributes to their economic effi ciency. Certainly it reduces the risks and anxieties of being cheated or exploited. Beyond that, it tends to improve market resource allocation by lowering the transaction costs of an informational origin that society pays in doing business and running markets. … Mutual trust in the adherence to some contract or obligation will often permit a resource allocation that is superior for everyone to any allocation reached by the noncooperative actions of distrustful individuals. Paradoxically, the presence of these altruistic virtues in the real nonWalrasian world, with its vast potential for damage and waste, may make the Walrasian perfect-information model a more accurate description than it could be if these virtues were absent“ (Phelps 1975, S. 5 f.).

Beide Sichtweisen adressieren mit ihren Leitbegriffen Effi zienz und Unvollkommenheit unterschiedliche Marktformen. Milton Friedman geht davon aus, dass in vollkommenen und informationseffi zienten Märkten bei unbeschränkter Wirkung des Preismechanismus die Produktion keine technologischen externen Effekte verursacht und denkbare Informationsasymmetrien ohne Transaktionskosten überwunden werden können. Unternehmen schaffen dann in Reaktion auf den technischen Fortschritt und den laufenden Wandel der Nachfrage neue Kapazitäten, so dass Innovationen die gesamtwirtschaftliche Effi zienz steigern, die Konsummöglichkeiten erweitern und den Wohlstand erhöhen.

Edmund Phelps weist hingegen darauf hin, dass im Falle von Marktunvollkommenheiten altruistisches Verhalten die Markteffi zienz steigern kann, weil es Transaktionskosten senkt und Informationsasymmetrien zu überwinden hilft. Anders gewendet: solches Verhalten, das wir auch als Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung beschreiben können, generiert Sozialkapital und fungiert als Steuerungsressource, vor allem dort, wo marktliche Kooperation alleine nicht ausreicht. Man kann die Positionsdifferenz auch darin markieren, ob „unter wettbewerbswirtschaftlichen Bedingungen Unternehmensethik überhaupt möglich ist“ oder „ob im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung Unternehmensethik überhaupt nötig sei“ (Ulrich 1996, S. 138).

Offen bleibt in beiden Betrachtungen die Frage, wie die Regeln entstehen, die eine Optimierung der Marktergebnisse durch Korrektur von Unvollkommenheiten ermöglichen, und welche Funktion dabei Unternehmen wahrnehmen können und sollen. Hier geht es um die Ordnungs(mit)verantwortung der Unternehmen, die in der wirtschaftsethischen Literatur der letzten Dekade verstärkt thematisiert wurde (Beckmann 2010; Enste 2015; Homann 2006, Pies – Hielscher 2008). Ebenso bleibt offen, wie das Konzept der Reputationsverantwortung integriert werden kann, das in besonderer Weise auf die gesellschaftliche „Licence to operate“ refl ektiert und dadurch dem Unternehmen zusätzliche Anforderungen stellt. In diesem Fall müssen Unternehmen deutlich mehr tun, als Konsumentenwünsche bestmöglich zu befriedigen, indem beispielsweise ein Reputationsmanagement entwickelt wird, das auf die Produkte und Prozesse im Unternehmen nicht nur zurückwirkt, sondern von daher getragen wird. Die Reputationsverantwortung richtet sich allerdings nicht nur an die Öffentlichkeit, sondern allein schon aus Gründen der Konsistenz und Glaubwürdigkeit ebenso an die Belegschaft (Ulrich 1996, S. 158).

In diesem erweiterten Verantwortungskonzept für Unternehmen spiegeln sich jene Funktionen, die eine Gesellschaft im Sinne moderner Rationalisierung ganz grundsätzlich Organisationen zuweist: (1) Unsicherheitsabsorption, (2) Kompensation von Autoritätsverlusten, (3) Interdependenzunterbrechung, (4) Systemintegration, (5) Sozialintegration und (6) Außenkommunikationsfähigkeit. Damit wird die isolierte Betrachtung von Unternehmen, wie sie im ökonomischen Mainstream vorherrscht, aufgehoben zugunsten einer vielschichtigen Perspektive, die sowohl die Wirkungen des Unternehmens in die Gesellschaft, als auch deren Bedingungen und Anforderungen einbezieht. Anders gewendet: Die sozialen Vorteile des Unternehmens fallen zwar systematisch unternehmensintern an, sind aber gesellschaftlich bedeutsam und mobilisierbar. Zugleich sind Organisationen – wie Unternehmen – gut beraten, „in die gesellschaftstheoretische Aufklärung der Bürger“ zu investieren, und zwar einerseits zur Sicherung des unternehmensspezifischen Reputationskapitals sowie andererseits zur Stärkung organisatorisch-institutioneller Lernfähigkeit (Waldkirch 2002, S. 182 f.). Reputationsverantwortung und die Ordnungsmitverantwortung lassen grüßen.

Tugend und Interessen

„Bei der ‚gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen‘ geht es darum, den Unternehmen zusätzlich zu ihrer Verantwortung gegenüber den Shareholdern eine Verantwortung für das Gemeinwohl, für öffentliche Aufgaben, für Stakeholder-Gruppen zuzusprechen“ (Homann 2004, S. 3).

Der Blick auf die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen hat in zwei Dimensionen auf die Handlungsbedingungen dieser Institutionen verwiesen: das Zeitregime und das Marktregime. Unabhängig davon stellt sich die Frage, wie die moralische Disposition des Einzelnen im Unternehmen und für das Unternehmen zu bewerten ist. Ökonomen haben traditionell eine große Distanz zu dieser Frage, weil man leicht Gefahr läuft, einen Vorteil der Marktwirtschaft aus dem Auge zu verlieren. Diese Wirtschaftsordnung spart, was systematisch knapp ist: individuelle Moral. Zugleich hat sie den großen Charme, nach den Motiven der Akteure nicht zu fragen, sondern lediglich darauf zu achten, dass sie einerseits zu regelgerechten Handlungen (also im Rahmen der Gesetze und Verordnungen) führen und andererseits die Verantwortung gemäß den genannten Grundsätzen „neminem laede“ und „pacta sunt servanda“ akzeptieren. Walter Eucken hat es so formuliert: „Von den Menschen darf nicht gefordert werden, was allein die Wirtschaftsordnung leisten kann: ein harmonisches Verhältnis zwischen Einzelinteresse und Gesamtinteresse herzustellen“ (Eucken 1952, S. 368).

So richtig es ist, dass die Rahmenordnung des Wirtschaftssystems der systematische Ort der Moral ist. So richtig ist es ebenso, dass die Rahmenordnung nicht der einzige Ort der Moral in unserem Wirtschaftssystem ist. Aber noch einmal, um nicht Gefahr zu laufen, die Bedrohung zu verkennen, die aus Gesinnungsnormen resultiert: „Der höchste wirtschaftsethische Wert im Kollektivismus heißt Gemeinnutz“, und „in geschlossenen Gesellschaften führt dies auf den ‚Weg zur Knechtschaft‘ (Hayek 1944)“, so Giersch (Giersch 2001, S. 258 u. 265). Die Freiheitsgesellschaft lebt von der Kompetenz des Einzelnen, für sich Entscheidungen zu treffen und die Folgen zu verantworten. Damit der dafür bedeutsame Eigennutz seine schädlichen Wirkungen nicht entfalten kann, bedarf es des intensiven Wettbewerbs in Form wiederholter Spiele mit einer wirksamen Enteignungsandrohung durch den Markt (Eucken).

Doch drängen sich Fragen auf, die mit Verweis auf Freiheit, Eigennutz und Wettbewerb nicht zu beantworten sind. (1) Wie entstehen die guten Regeln, die die Wettbewerbsordnung begründen und absichern? (2) Woran richten wir unser Handeln und Unterlassen aus, wenn ein Rekurs auf explizite Regeln nicht möglich ist, wenn wir quasi unterhalb des Radars der Regeln und Institutionen im Alltag aufeinandertreffen? (3) Was gibt uns Orientierung, wenn wir „ohne Geländer“ (Hannah Arendt) denken und urteilen müssen? Wir suchen keine Gesinnungsvorgabe, sondern vielmehr eine Haltung des Einzelnen, die auf die guten Sitten und die Üblichkeiten einer Gesellschaft Bezug nimmt. Es geht darum, dass wir vertrauen können, und zwar sowohl auf die Fairness sowie Angemessenheit der Institutionen und Regeln als auch auf das Fairplay der anderen im System wiederholter, aber auch einmaliger Spiele.

Durch die Verantwortung, die über das Ergebnis des Unternehmens hinausweist, wird die im ökonomischen Diskurs verankerte Öffentliche Gut-Problematik relevant. Dies begründet Dilemmata über Interessengegensätze hinaus, und damit eine grundsätzliche Instabilität einer unternehmerischen Orientierung auf den öffentlichen Raum und gesellschaftliche Verantwortung. Für die entsprechende Stabilisierung und Korrektur sind das Rechtssystem und seine Sanktionsbewehrung von Bedeutung, aber ebenso die Informationsgenerierung und Wirkungstransparenz in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Elinor Ostrom hielt in ihrer Nobelpreisrede aus dem Jahr 2009 hierzu fest: „Die jüngeren theoretischen Überlegungen über Lernprozesse und Normakzeptanz der Einzelnen können uns helfen zu verstehen wie Feedback-Mechanismen positive und negative Lernprozesse verstärken und wie Individuen mehr Vertrauen zueinander gewinnen, was letztlich zu verstärkter Kooperation und zu höheren Leistungen führt. Es geht nicht nur darum, dass Individuen Normen akzeptieren, sondern auch darum, dass aus der jeweiligen Struktur heraus genügend Informationen generiert werden über das wahrscheinliche Verhalten anderer als glaubwürdige Gegenüber, die ihren Anteil an den Kosten zur Überwindung des Dilemmas tragen“ (zitiert nach Beckenkamp 2012, S. 51).

Das Ineinandergreifen von individueller Haltung und deren Spiegelung in kollektiven Strategien, wie es für Unternehmen durch das Management der Fall ist, und von institutionellen Bedingungen, sei es formal durch den Staat gesetzt oder informell durch Übung und Tradition, defi niert jenen Raum für Reziprozität, der eine zusätzliches Maß an Verantwortungsübernahme Wirklichkeit werden lässt. Unternehmen als Akteure des öffentlichen Raums müssen somit selbst die Einsicht in solche Normen jenseits von Markt und Staat erbringen, zugleich bedarf es einen gesellschaftlichen Umfelds – eines wahrhaft öffentlichen Raums im Sinne Hannah Arendts, das dieses befördert und legitimiert. So verändert eine neue „Licence to operate“ nicht nur die Unternehmen, sondern auch den öffentlichen Raum. Die Bürgergesellschaft muss durch Informationsgewinnung und Informationswürdigung ihren Beitrag leisten. In jedem Fall ist der Blick auf den Einzelnen und seine grundsätzliche Disposition zur Tugend – zur Bürgertugend – zu richten. Eine ökonomische Theorie, die dies ebenso ausblendet wie die historische Zeit und die Unvollkommenheit der Realität bietet keine Orientierung, sondern Glasperlenspiele.

Literatur

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Waldkirch, R. (2002): Unternehmen und Gesellschaft. Zur Grundlegung einer Ökonomik von Organisationen. Wiesbaden

 

Der Autor

Prof. Dr. Michael Hüther

ist seit 2004 Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Er hat Wirtschaftswissenschaften sowie mittlere und neuere Geschichte an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und der University of East Anglia in Norwich studiert. Michael Hüther ist Honorarprofessor an der European Business School OestrichWinkel im Fach Volkwirtschaftslehre und Vorsitzender des Kuratoriums für den Max-Weber-Preis für Wirtschaftsethik.
huether@iwkoeln.de

Bild: Prof. Dr. Michael Hüther; © IW Köln

 

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