Hinweisgeber*innen (Whistleblower) sind entscheidend für die Aufdeckung von Missständen und Korruption. Eine umfassende Gesetzgebung zum Schutz dieser Personen fehlt in Deutschland jedoch nach wie vor. Laut einer Studie der Europäischen Union würde ein effektiver Hinweisgeberschutz die europäischen Steuerzahler*innen vor jährlichen Schäden an Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft von sechs bis zehn Milliarden Euro bewahren.

Nun muss die Bundesrepublik bis Dezember 2021 die EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden in deutsches Recht umsetzen. Entscheidender Punkt dabei: der sachliche Anwendungsbereich – also die Frage, welche Meldungen geschützt werden sollen.

Deshalb fordern u.a. das DNWE, Reporter ohne Grenzen, der Verbraucherzentrale Bundesverband und der Bund Deutscher Kriminalbeamter – auf Initiative von Transparency International Deutschland e.V. und dem Whistleblower-Netzwerk e.V. – in einem offenen Brief, die Chance zu nutzen und Hinweisgeber*innen umfassend und unter Einbeziehung nationalen Rechts zu schützen. Kohärenz, Klarheit und Rechtssicherheit sind sowohl für die Hinweisgeber*innen selbst als auch für Unternehmen, die öffentliche Verwaltung, Justiz und Presse nur bei einer vollumfänglichen Regelung gegeben.

Die Verbände fordern:

 

Rechtssicherheit schaffen

Der Schutz von Hinweisgeber*innen wird mit der Richtlinie in Europa zur Norm. Die Europäische Union fordert die Mitgliedstaaten dazu auf, “auf nationaler Ebene für einen umfassenden und kohärenten Rahmen für den Hinweisgeberschutz zu sorgen” (Erwägungsgrund 5 der Richtlinie) und betont explizit die Möglichkeit, den Anwendungsbereich auszudehnen (Artikel 2 (2)).

Daher reicht eine Schmalspurlösung in Form einer sogenannten “Eins-zu-eins-Umsetzung”, die nur Meldungen von Verstößen gegen bestimmtes EU-Recht schützt, nicht aus. Wenn deutsches Recht außen vor bliebe, würde das den Sinn der EU-Richtlinie in sein Gegenteil verkehren. Viele Hinweisgeber*innen, etwa auch bei aktuellen Fällen während der Corona-Krise, würden keinen Schutz genießen.

Selbst Expert*innen fällt es schwer zu ermitteln, ob eine bestimmte Meldung unter die in der Richtlinie genannten EU-Rechtsakte oder unter nationales Recht fällt. Hinweisgeber*innen – oft ohne juristische Kenntnisse – können die Risiken einer rechtlichen Fehleinschätzung nicht aufgebürdet werden.

Das von der sogenannten “Eins-zu-eins-Umsetzung” ausgehende Signal würde potenzielle Hinweisgeber*innen daher verunsichern und abschrecken. Das Ziel der Richtlinie wäre verfehlt.

 

Klarheit für Unternehmen

Nicht nur Hinweisgeber*innen, sondern auch Unternehmen sähen sich bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung der Rechtsunsicherheit eines Flickenteppichs an Regelungen ausgesetzt. Die Etablierung von effektiven Hinweisgebersystemen und einer gelebten Kultur des Hinsehens kann Unternehmen vor immensen Finanz- und Reputationsschäden bewahren. Wenn Missstände nicht aufgedeckt und Verstöße nicht sanktioniert werden, dann schadet dies einem fairen Wettbewerb. Eine klare gesetzliche Regelung bringt Unternehmen bei den nun nötigen Neuerungen Planungssicherheit und stärkt die Effizienz und das Risikomanagement.

 

Rechtsstaatliche Prinzipien beachten

Eine umfassende gesetzliche Regelung ist mit Blick auf das im Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) enthaltene Willkürverbot angebracht. Bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung droht hingegen eine Verletzung beider Aspekte. Zudem müssen Gesetze nach dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit klar und bestimmt sein. Das heißt, Gesetze müssen für die Bürger*innen verständlich und rechtliche Konsequenzen vorhersehbar sein. Bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung wäre dies gerade nicht gewährleistet. Die Hinweisgeber*innen selbst, Unternehmen, Strafverfolgungsbehörden, die Justiz sowie die Presse wären hiervon betroffen. Rechtsstreitigkeiten werden unnötig kompliziert und zu einer zusätzlichen Belastung für die Justiz.

 

Weitere Informationen

Offener Brief an die Bundesregierung (05.08.2020)

Detaillierte Überlegungen zur Umsetzung gibt’s hier:
https://www.whistleblower-net.de/politik/

 

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