Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Teilhabe und Flexibilität der Beschäftigten sind einige Prinzipien, die unter dem Begriff “New Work” gefasst werden – ein Begriff, der bereits in den 1970er Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt wurde. Uns interessiert die Frage: Ist New Work die “Arbeit an der Zukunft?” Wie verändern sich Organisation und Führung, wenn der Mensch und seine Bedürfnisse in den Vordergrund rücken (sollen). Wer profitiert davon? Und wer nicht? Wo besteht womöglich die Gefahr einer Spaltung in der Arbeitswelt?

Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Sebastian Weißgerber – Scrum Master / Agiler Coach & Freier Trainer für New Work.

 

(1) Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit “New Work” und wie zeigen sich diese in Ihrem Alltag?

Sebastian Weißgerber: Tatsächlich fängt dies schon damit an, dass meine Stelle als Scrum Master / Agiler Coach in der IT-Entwicklung ohne New Work wohl nicht existieren würde. Auch wenn ich die beiden großen Begriffe Agiles Arbeiten und Neues Arbeiten nicht für hundertprozentig deckungsgleich halte, so sind die Überschneidungsmengen in Theorie und Praxis groß. So gehört zu den Hauptaufgaben eines Scrum Masters oder Agilen Coaches eben Organisationen “menschlicher” zu machen beziehungsweise diese mehr am Menschen auszurichten: Nach Außen zum Kunden, aber – so meine Lesart von Agilität im Sinne von New Work – auch nach Innen. Dazu gehören ganz im Sinne Bergmanns auch die Ausrichtung der Organisation hin zu Selbstorganisation statt Vorschriftsfolgen, Ganzheit statt funktioneller Reduzierung.

Ganz plastisch im Alltag erlebe ich dies in der Nutzung von Gemeinschaftszielen, Coaching und möglichst ressourcenorientierten Einsatz von Mitarbeitern.

Dabei will ich auch ganz kritisch anmerken, dass agile Arbeitsweisen aber nicht zwangsweise mit dem Gedanken von “Arbeit, die ich wirklich wirklich will” Hand in Hand gehen. Oft werden meiner Erfahrung nach auf agile Arbeitsweisen von oben her eingeführt im Sinne von Prozessen und Methoden und dies wird dann mit New Work gleich gesetzt. Die für die wirtschaftsethische Perspektive von Werten und Haltung wird dabei oft gar nicht thematisiert oder instrumentalisiert. Schließlich braucht Selbstorganisation und Demokratisierung von Arbeit auch entsprechende Kompetenzen und Freiräume, die aber dann nicht vermittelt oder geschaffen werden. Hier gilt es dann in meiner Tätigkeit Mitarbeiter Richtung Eigenverantwortlichkeit zu coachen, aber auch Freiheitsgrade in Organisationsstrukturen zu erkämpfen.

New Work heißt in meinem Alltag ganz konkret: Menschen diese Freiheit zuzumuten, ihnen Entscheidungen nicht paternalistisch abzunehmen, sondern persönlich und strukturell darauf hin zu arbeiten, dass so gut wie möglich eine Harmonie zwischen wirtschaftlichen und menschlichen Interessen entsteht.

Spannend ist hier auch für mich, dass in agilen Arbeitsweisen daher auch oft strukturelle Verankerungen von Freiheit stattfindet. So habe ich als Scrum Master weder die persönliche fachliche Kompetenz für andere Entscheidungen zu treffen, noch bin ich deren disziplinarischer Vorgesetzter. Ich kann in sokratischer Tradition nur Geburtshelfer für kreative Ideen und Lösungen sein. Und das ist auch gut so – in einer komplexen Arbeitswelt werden die Momente für heroische Einzelkämpfer immer weniger. Es braucht Kooperation verschiedener Experten zu einem guten Ergebnis.

 

(2) Wie verändern sich Führung und Organisation, wenn der Mensch und seiner Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden?

Sebastian Weißgerber: Für mich ist es paradox, dass wir in einer Demokratie leben, diese aber im beruflichen Alltag selten erfahren. Selbst in einer weniger direkten Demokratie habe ich ein turnusmäßiges Recht die politische Führung abzuwählen. In Unternehmen wird eine Führungsposition doch oft auf Lebenszeit vergeben mit meist hoher Vollmacht über das Leben der Mitarbeiter. Dies wird sogar meist von beiden Seiten als selbstverständlich erachtet.

Wenn wir den Menschen und seine Bedürfnisse in den Vordergrund stellen, dann heißt das für mich vor allem eine Demokratisierung von Unternehmen, in der der Mensch nicht nur betriebswirtschaftliche Ressource ist. Organisationen sind zu großen Teilen eben die Menschen, die für diese Organisation arbeiten. Die Gleichung zufriedene Mitarbeiter gleich zufriedene Kunden scheint für mich gerade in gesättigten Märkten sehr wichtig – denn Menschen und ihre Leistung machen eben schon mal den Unterschied in der Kundenerfahrung. Führung muss also im ersten Schritt im Sinne Robert Greenleafs “dienender” werden, im zweiten Schritt wäre es aber konsequent auch strukturelle Elemente einzuführen, die Macht nicht negieren oder verwischen, sondern strukturell besser verankern – Im Kontext von Wirtschaftsunternehmen heißt das für mich ganz klar: Hin zu Kompetenz. Entscheidungen sollten nicht nur aufgrund von formaler Macht getroffen werden.

Dabei will ich ganz deutlich klar stellen: New Work ist für mich kein sozialistischer Traum in dem alle gleich sind. Es wird immer engagiertere und motiviertere Menschen geben und Menschen, die ihren Sinn eher außerhalb der beruflichen Organisation sehen. Gerade die Leistungsträger nicht erst über die enge Einflugschneise einer Führungskarriere einzubinden, ist meiner Einschätzung auch im aktuellen Fachkräftemangel ein Attraktivitätsvorteil für jeden Arbeitgeber. Wer vertrauensvolle kompetente Mitarbeiter will, muss diesen zunächst erst Vertrauen und Freiheit schenken (konkret heißt das meist: Befugnisse und Budget).

In der Sparkasse Bayreuth durfte ich mit Unterstützung des Vorstands und Personalabteilung solch ein Projekt begleiten, in dem es genau so unser Ansatz war zu sagen: Wir erarbeiten mit denen, die guten Willens sind Ideen aus, die spezifisch auf die zuvor eruierten Bedürfnisse der Mitarbeiter passen. Dazu haben wir traditionelle Managementansätze wie den Business Modell Canvas umgedreht und gesagt: Was passiert, wenn wir nicht den Kunden und seine User Experience in den Mittelpunkt stellen, sondern den Mitarbeiter und seine “Employee Experience”. (Ein wichtiger Unterschied: Im herrschen Paradigma sind Mitarbeiter nicht mal Schlüsselpartner, sondern nur Ressource). Am Ende gab es einen leicht zu etablierenden Prozess – wir wussten ja, was die Menschen wirklich wollten und begeisterte Projektmitglieder, weil sie dem menschlichen Grundbedürfnis nach Leistung und Autonomie folgen konnten. Ganz bekannt ist die Sparkasse Bremen, die sogar zu Gunsten von Selbstorganisation alle Führungskräfte abzuschaffen. Sehr komplex und bestimmt nicht Zielmarke für alle Organisationen, aber im Bereich des Möglichen.

 

(3) Welche Chancen bietet “New Work”?

Sebastian Weißgerber: Dies kommt ganz darauf an, wie man New Work versteht.

Im Kontext von Bergmanns Gedanken auf einem umfassenderen Blick auf Arbeit bieten sich viele Möglichkeiten. Von reduzierter Arbeitszeit und Vier-Tage-Woche, bis hin zur stärkerer Anerkennung und Gewichtung von Care-Arbeit. Allerdings hatte Bergmann diese Gedanken vor dem historischen Kontext steigender Automatisierung durch Roboter. Er ging also davon aus, dass Lohnarbeit für viele Menschen nicht mehr so existentiell bedeutsam sei. Hier haben wir zumindest in Deutschland in seiner demographischen Lage und seinen faxenden Ämtern meiner Einschätzung nach noch sehr viel Luft nach oben. Auch die Ausübung einfacher unqualifizierter Tätigkeiten ist in den letzten Jahren nicht gesunken.

Versteht man New Work im Sinne einer reinen Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt, sehe ich darin eher Gefahren. Hebammen, Pfleger oder Polizisten können nicht immer aus dem Home-Office arbeiten.

Die besten Aussichten sehe ich in einem pragmatischen Verständnis von Partizipation und Demokratisierung der Arbeitswelt. Nicht nur für den Staat im Sinne einer grundsätzlichen Förderung demokratischer Haltung, sondern auch für die Wirtschaftswelt. Wer seine Mitarbeiter fördert, kann sie auch fordern. Dies beruht auf den psychosozialen Grundbedürfnissen nach Autonomie, Leistungserleben und sozialer Eingebundenheit. Gerade in komplexen und dynamischen Welten kann ich mir über vertrauensvolle Verteilung von Macht mehr Reaktionsfähigkeit und Kreativität erwirken beziehungsweise über dieses Vertrauen wertvolle Transaktionskosten sparen. Gerade in einem Arbeitsmarkt, der es qualifizierten Arbeitssuchenden erlaubt sich ihren Arbeitgeber auszusuchen, kann man hier punkten. Dies geschieht, in dem die Arbeitsorganisation ein Ort des Lernens und Entwicklung wird.

 

(4) Wo sehen Sie Herausforderung bei der Implementierung und wo stößt “New Work” auch an seine Grenzen?

Sebastian Weißgerber: Egal ob es Kant die selbstverschuldete Unmündigkeit oder Bergmann die Arbeit der Begierde nennt: Zu wissen, was man wirklich will, setzt einen langen persönlichen Reifungsprozess voraus. Ob nun jeder nach Entfaltung sucht – vor allem in der Arbeit – ist eine philosophisch und sozialwissenschaftlich kritisch zu beleuchtende Frage.

Nicht jeder will in der Arbeit groß Sinn finden (und auch Bergmann hätte wohl vor zu viel Sinn der Lohnarbeit gewarnt), aber auch nicht jede andere Form der Arbeit lässt sich leicht gegenfinanzieren.

Die größten Herausforderungen in der Implementierung von New Work sehe ich in der Vermittlung einer entsprechenden Wertehaltung. New Work heißt in meinem Sinne und ganz oberflächlich: Lernen und (sich) kreativ entwickeln, statt einfach roboterhaft angeschaffte Aufgaben zu erledigen. Allerdings erfordert Lernen auch oft Fehler machen. Dies widerspricht dem Grundbedürfnis vieler nach Sicherheit. Die Etablierung einer psychologisch sicheren Organisationskultur ist für mich daher das Fundament von New Work. Dies fordert aber Umdenken bei Mitarbeitern sowie Führungskräften. Mitarbeiter müssen sich trauen Entscheidungen autonomer zu fällen, Führungskräfte müssen sich trauen diese Macht abzugeben. Der sozialsymbolische Status darf nicht so wichtig sein, wie eine kompetente Entscheidung. Allerdings liegt uns Rang und Revier im Blut. Unter Pädagogen gibt es den Spruch “Wir haben das preußische Bildungssystem des 19. Jahrhunderts, Schulen aus dem 20. Jahrhundert und sollen Bildung für das 21. Jahrhundert machen.” Ich sehe hier oft Mechanismen greifen, die mich an Schule erinnern, nur das nicht mehr der Lehrer die richtige Lösung vorgibt, sondern die Führungskraft (auch oft unfreiwillig) in die Rolle des vorgebenden Lehrers gedrängt wird. Hier greift der Autoritätsreflex der Macht – und soviel ist wissenschaftlich gesichert: Machtfreie Organisationen existieren nicht. Zukunftskompetenzen wie die 4Ks der OECD (Kommunikation, Kollaboration, Kritisches Denken und Kreativität) finden sich nicht immer in klassischen Schul- und Ausbildungsplänen.

Dazu kommt, dass gerade in komplexen bis chaotischen Situationen oft nach dem starken Anführer gerufen wird, da wir Menschen Komplexität nur ungern aushalten. Hier erlebe ich, dass selbst wenn alle Experten sich einig sind, oft der “Segen” der hierarchisch gesetzten Person notwendig ist. Autorität beschleunigt Entscheidungen – aber nicht immer die Besten.

 

(5) “New Work als Arbeit an der Zukunft?” – Kann “New Work” einen Beitrag für die Bewältigung unserer globalen Herausforderungen leisten? Und wenn ja, wie?

Sebastian Weißgerber: Ich denke im Angesicht vieler komplexen Krisen – egal ob Nachhaltigkeit oder Digitalisierungsstrau – braucht es eine Demystifizierung des Genies. Es braucht organisiertes und koordiniertes Zusammenspiel vieler kluger Geister. Neue Arbeit kann zur Bewältigung glober Krisen beitragen vernetzter und systemischer an diese Themen ranzugehen. Durch Proteste und das Festkleben an Straßen werden Krisen symptomatischer sichtbar, aber nicht gelöst. Zu New Work ganz im Sinne Frithjof Bergmanns gehört für mich hier kreativ und lösungsorientiert zu denken und zu handeln. Schließlich war Bergmann nicht im philosophischen Elfenbeinturm unterwegs, sondern hat durch viele Initiativen Experimente gestartert anders zu leben und zu arbeiten.

Für die moderne Wirtschaftsethik ein guter Anknüpfungspunkt sich als Handlungswissenschaft zu zeigen.

Dies geschieht vor allem durch eine Entemotionalisierung und Verwissenschaftlichung vieler Debatten. Sei es Vier-Tage-Woche / 35-Stunden, bedingungsloses Grundeinkommen oder ähnliches. Hier werden ja oft Wertdebatten geführt und keine Argumente ausgetauscht. Hier kann New Work Basis für Argumente schaffen.

 

New Work – Die Arbeit an der Zukunft? 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

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