Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Teilhabe und Flexibilität der Beschäftigten sind einige Prinzipien, die unter dem Begriff “New Work” gefasst werden – ein Begriff, der bereits in den 1970er Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt wurde. Uns interessiert die Frage: Ist New Work die “Arbeit an der Zukunft?” Wie verändern sich Organisation und Führung, wenn der Mensch und seine Bedürfnisse in den Vordergrund rücken (sollen). Wer profitiert davon? Und wer nicht? Wo besteht womöglich die Gefahr einer Spaltung in der Arbeitswelt?

Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Dr. Daniel Dietzfelbinger – Geschäftsführer des Instituts persönlichkeit+ethik, Augsburg

 

(1) Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit “New Work” und wie zeigen sich diese in Ihrem Alltag?

Dr. Daniel Dietzfelbinger: Zunächst zur Hardware: Einige Unternehmen, die wir beraten, haben auf New Work umgestellt. Die meisten machen die Umgestaltung fragmentarisch: Es werden Teile des Gebäudes auf Neue Arbeitswelten umgestellt und entsprechende bauliche Maßnahmen unternommen. Wenige machen den radikalen Schnitt – meist dann, wenn ohnehin Baumaßnahmen anstehen. Die Räume sehen dann am Ende meist ähnlich aus: Offene Schreibtische, variable Rollcontainer, abgeschottete Telefonzellen, separierte Besprechungsräume. Viele bunte Möbel und offene Kaffeeecken. Der obligatorische Kicker und Kreativraum mit vielfarbigen Karten und Moderationsmaterial dürfen nicht fehlen. Meist sehen die Räume sehr ansprechend aus – und manchmal erinnern sie an moderne Kindertagesstätten, die ähnlich bunt und kreativ ausgestaltet sind.

Aber: Die Räumlichkeiten, die wir kennen, machen meist Lust auf kreatives Arbeiten.

Etwas Anderes ist es bei der Software: Nicht alle Mitarbeiter:innen im Unternehmen können oder wollen sich nicht so schnell umstellen. Die Erfahrung zeigt, dass es oft zwei Lager in den Organisationen gibt – solche, die die Räume gerne nutzen und solche, die einen großen Bogen um die neuen Arbeitswelten machen und sich lieber wieder in ihren Schuhkarton verziehen – wir erleben oft Parallel-Kulturen in Unternehmen (und das ist nicht einfach die Spaltung in junge – alte Mitarbeiter:innen, sondern zieht sich quer durch die Belegschaft).

Den Ansatz in der Theorie begrüße ich – aber es ist eine Frage, wie man Mitarbeiter:innen in Organisationen darauf vorbereitet, sie einbezieht in Planung, Gestaltung und Umsetzung. Leider funktioniert es nicht per Schalterumlegen.

 

(2) Wie verändern sich Führung und Organisation, wenn der Mensch und seiner Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden?

Dr. Daniel Dietzfelbinger: Die Veränderungen sind vor allem (aber nicht nur) für ältere Führungskräfte eine Herausforderung, je nachdem, welche Führungskultur in einer Organisation bisher vorherrschend war und ist. Die Bedeutung von Hierarchie erlebt einen Wandel – sie rückt in den Hintergrund, wenngleich sie funktional weiterhin notwendig sein wird. Führungsrollen ändern sich: Nicht mehr der:die klassische Vorgesetzte (was für ein Wort!) seht im Vordergrund, die Rolle des Coaches und des:der Ermöglicher:in rückt in den Blickpunkt. Schulterklappen haben spätestens durch die Corona-Pandemie verursachte Video-Kultur ihre manchmal einschüchternde Wirkung verloren.

Feedback-Kultur in beide Richtungen muss eingeübt werden. Die goldene Mitte zwischen klarer Führung im Sinne von Zielvorgaben und Motivation und dem Ernstnehmen der Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen zu finden, erfordert Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen, das nicht allen Führungskräften in die Wiege gelegt ist.

Organisationen werden flexibler werden müssen: Weniger Bürokratie, mehr Kreativität – aber auch nicht alles von dem Alten über den Haufen werfen. Leitend sollte ein Rat sein, den einst der Apostel Paulus den Mitglieder einer jungen christlichen Gemeinde in Thessaloniki (Griechenland) mitgab: “Prüfet alles, das Gute aber behaltet.” (1. Paulus-Brief an die Thessalonicher, Kap. 5, vers 21).

 

(3) Welche Chancen bietet “New Work”?

Dr. Daniel Dietzfelbinger: New Work bietet viele Chancen, wenn es nicht nur darin besteht, Räume und Arbeitsplätze neu zu gestalten, sondern die Mitarbeiter:innen darauf vorbereitet werden und – um das Buzzword zu nennen – mitgenommen werden von Anfang an. New Work ist zuvorderst ein Kultur-, erst danach ein Architekturthema. Wenn eine Organisation und die in ihr arbeitenden Menschen von der:dem Pförtner:in bis hin zur Vorstands- oder Geschäfstführungsetage sich gemeinsam auf den Kultur- und Haltungswandel einlassen, kann das gelingen. Denn die Ansätze von New Work, wenn sie gut auf die Organisation und ihr Setting angepasst sind, eröffnen Frei- und damit Verantwortungsräume für Mitarbeiter: innen, die sie wahrscheinlich vorher nicht hatten. Dadurch werden die klassischen vermeintlichen Soft Factors in einer Organisation gestärkt: Verantwortung, Kreativität, Mitarbeit im Wortsinne.

Auch dabei gilt: Methoden/Konzepte sind für Menschen da, nicht Menschen für Methoden/Konzepte – das heißt: Mit Gefühl für die Organisation und ihr (langdauerndes) Gedächtnis, nichts überstürzen – um die Chancen, die in den Ideen von New Work stecken, gut zu nutzen.

 

(4) Wo sehen Sie Herausforderung bei der Implementierung und wo stößt “New Work” auch an seine Grenzen?

Dr. Daniel Dietzfelbingers: Kultur vor Architektur! Die Herausforderung besteht im kulturellen Wandel – d.h. in der Vorbereitung der Mitarbeiter:innen auf die neuen Arbeitswelten.

Jede Organisationsveränderung braucht Akzeptanz in der Belegschaft, nicht hundert Prozent, aber ein Großteil der Mitarbeiter:innen sollte bereit und vorbereitet sein, sonst entstehen Parallelwelten, die Spaltungen schaffen.

Damit sind auch die Grenzen schon angedeutet: Nicht jede Organisation verträgt New Work – gerade in produzierenden Unternehmen ist die Gefahr zweier Welten groß. Mitarbeiter:innen am Band können selten in den Genuss neuer Arbeitswelten kommen, wenn der Akkord das Ergebnis bestimmt – Shopfloors hin oder her. Verwaltungsorganisationen haben sicher einige Möglichkeiten, aber eben auch Grenzen in der kreativen und selbstverantwortlichen Arbeit.

Grenzen tun sich schließlich auch dann auf, wenn man auf der anderen Seite des Pferdes hinunterfällt: Nicht jede:r Mitarbeiter:in wird sich auf alles, was agile Management-Methoden anbieten, einlassen können und wollen, obwohl er sich mit der Organisation identifiziert und gute Arbeitsergebnisse abliefert. Es gibt sie auch noch, die Mitarbeiter:innen, die einfach ihre Arbeit machen wollen, um Geld zu verdienen – und nicht alle persönlichen Bedürfnisse in den Vordergrund rücken.

 

(5) “New Work als Arbeit an der Zukunft?” – Kann “New Work” einen Beitrag für die Bewältigung unserer globalen Herausforderungen leisten? Und wenn ja, wie?

Dr. Daniel Dietzfelbinger: Große Frage! Da wäre erstmal zu klären, was diese globalen Herausforderungen sind: Klimakatastrophe? Kriege? Ungleichheit in der Welt? Meiner Meinung nach kann New Work für bestimmte Organisationen, in bestimmten Situationen eine Antwort auf bestimmte Anforderungen in spezifischen Kontexten sein. Das sind Kontexte einer aufgeklärten, friedlichen, kooperativen Welt – aber das sind nicht die globalen Rahmenbedingungen, in denen wir leben.

Organisationen, bei denen sich die Mitarbeiter:innen auf New Work einlassen, werden es leichter haben, den Arbeitsskräftemangel in der westlichen Welt zu kompensieren, weil gut gelebtes New Work effizienter Arbeitsergebnisse hervorbringt und damit die Produktivität steigert.

Organisationen, die New Work praktizieren, werden es leichter haben, Mitarbeiter: innen zu binden, weil eine verstärkte Eigenverantwortung die Mitarbeiter:innen größtenteils besser motiviert. Organisationen, in denen New Work gelebt wird, werden schneller und agiler werden in einer sich weiterhin rasant verändernden (Arbeits-)Welt.

Aber New Work ist nicht das Heilmittel für das, was als globale Herausforderungen Tag für Tag uns neu ins Haus steht.

 

New Work – Die Arbeit an der Zukunft? 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Dr. Daniel Dietzfelbinger

Dr. Daniel Dietzfelbinger, Jahrgang 1968, war nach dem Studium der Evangelischen Theologie viele Jahre bei einem deutschen DAX-Unternehmen in der Unternehmenskommunikation tätig, hat als Referent für Medien, Öffentlichkeitsarbeit und Erwachsenenbildung in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern gewirkt und berät heute große Wirtschaftsunternehmen sowie Organisationen der Verwaltung als Geschäftsführer des Instituts persönlichkeit+ethik GbR, Augsburg. Dietzfelbinger ist – nach Fortbildungen in Organisationsentwicklung und Coaching – Master am Institut für Systemische Beratung in Wiesloch sowie zertifizierter WerteManager nach dem Standard des Zentrums für Wirtschaftsethik, Konstanz.

 

 

 

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