Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Prof. Dr. Lisa Ranisch.

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Prof. Dr. Lisa Ranisch: Die Frage ist hier für mich zunächst einmal: wann reden wir von “Engagement” und wo ist die Grenze zum Lobbyismus zu ziehen? Politische Einflussnahme in Form von Lobbyarbeit durch Unternehmen ist weit verbreitet und – wenn auch öfters kritisch zu sehen – für das Funktionieren der Demokratie notwendig. Zudem stellt sich die Frage, wann Engagement “politisch” ist: dies kann bei mancher gemeinwohlorientierter Tätigkeit der Fall sein, der große Sektor unternehmerischer Philanthropie wird darunter aber wohl in der Regel nicht verstanden.

Kurzum, für mich ist Engagement von Unternehmen dann politisch, wenn Unternehmensentscheidungen aus der Verantwortung für oder gegen eine bestimmte politische Haltung oder Agenda heraus getroffen und umgesetzt werden – mitunter sogar unabhängig von ökonomischen Kriterien. Insofern ist der Rückzug von Unternehmen aus dem russischen Markt eine politisch motivierte Entscheidung, wenn diese aufgrund einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine erfolgt. In dieser Angelegenheit Position zu beziehen und verschiedene Reaktionsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen (unabhängig davon, ob dies in einem Rückzug oder einem Verbleib im russischen Markt resultiert) zeugt von der Verantwortung, die Unternehmen auch als politisch wahrgenommene Akteure haben.

Zudem fallen mir einige Beispiele politisch motivierten persönlichen Engagements von Managern ein, so etwa von Joe Kaser, ehem. CEO von Siemens, der sich immer wieder zu politischen Themen wie Populismus oder Rassismus äußerte, oder dem Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, der sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzte. Hier stehen zwar nicht die Unternehmen als Ganzes hinter dem Engagement, doch ist es aufgrund der (ehemals) gehobenen Stellung im Unternehmen eng mit dessen Namen bzw. Marke verknüpft.

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Prof. Dr. Lisa Ranisch: Unternehmen werden – je größer sie sind, umso stärker – immer auch als politische Akteure wahrgenommen. Je mehr sie sich dieser Rolle und insbesondere Verantwortung bewusst sind, desto besser. Das heißt nicht, dass sie sich zu jeglichem politisch relevanten Thema äußern müssen, sondern hingegen erkennen sollten, von welchen Themen sie als Unternehmen beeinflusst werden und welche sie selbst beeinflussen können (und sollten). Je nach Branche, Standort, Mitarbeiterschaft, Expertise etc. kann es legitim und sogar angebracht sein, sich zu einem bestimmten politischen Thema zu positionieren und – unter Beachtung klarer Spielregeln – auch in politische Entscheidungsprozesse einzubringen. Jüngst ist dies etwa geschehen durch ein gemeinsames Statement von mehr als 50 Unternehmen, die sich für eine entschiedene Stärkung des deutschen Lieferkettengesetzes aussprechen. Ohne engagierte Unternehmen wird die Politik viele große Krisen unserer Zeit, denken wir etwa an die Klima- oder Energiekrise, nicht lösen können.

Legitim ist es auch, dass Unternehmen sich in Verbänden zusammenschließen oder in von der Politik lancierten Projekten Partner sind, sofern diese Aktivitäten unter klaren Transparenzpflichten und unter Einhaltung der Gesetze erfolgen. Ein großes Textilunternehmen, das seit Jahrzehnten seine Kleidung durch verzweigte Lieferketten auf der ganzen Welt produzieren lässt, und hier bereits mit diversen (politischen) Herausforderungen konfrontiert wurde, kann bei der Ausgestaltung eines Gesetzes zum Schutz von Menschenrechten in Lieferketten seine Expertise teilen. Wichtig ist, dass diese Machtposition nicht ausgenutzt wird zur alleinigen Durchsetzung privatwirtschaftlicher Interessen unter Missachtung gesellschaftlicher und ökologischer Erfordernisse – dies würde mittel- bis langfristig weder dem Unternehmen noch der Wirtschaft als Ganzes helfen.

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Prof. Dr. Lisa Ranisch: Wir brauchen die Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft, um die großen Probleme, vor denen die Menschheit steht, zu lösen. Unternehmen sind heute teilweise mächtiger als einzelne Staaten und damit kommt ihnen eine große Verantwortung zu, die Welt im positiven Sinne mitzugestalten und nicht nur die ökonomische, sondern auch die gesellschaftliche Entwicklung voranzubringen. Wichtig ist dabei aber, dass die Spielregeln der Zusammenarbeit nicht von Unternehmen diktiert, manipuliert oder unterminiert werden. Sie müssen weiterhin durch demokratisch legitimierte Institutionen geschaffen und kontrolliert werden. Damit diese Institutionen gut funktionieren, braucht es zum einen klare Regeln und Grenzen des Einflusses von Unternehmen und zum anderen gut informierte, verantwortungsbewusste BürgerInnen bzw. WählerInnen. Hierfür spielen qualitativ hochwertige Bildungsstätten und Informationsquellen eine große Rolle, die unabhängig von privatwirtschaftlichen Interessen wissenschaftliche und faktisch geprüfte Wissensvermittlung vornehmen. Gefährlich wird der Einfluss von Unternehmen daher dann, wenn er sowohl direkt im Prozess der Gesetzgebung als auch indirekt im Bereich Information und Bildung Inhalte, Vorgehensweisen oder Techniken vorgibt, die bestimmte ökonomisch motivierte Wertvorstellungen verbreiten (z.B. Priorisierung von Wachstum vor Artenschutz) und Abhängigkeiten schaffen (z.B. durch Einsatz bestimmter Technologien in Schulen).

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Prof. Dr. Lisa Ranisch: Hierzu braucht es zum einen klare Werthaltungen auf Seite der Unternehmensführung und der Führungskräfte insgesamt, die ins gesamte Unternehmen ausstrahlen. Ebenso wichtig sind zum anderen unterstützende Prozesse, die (politisch) verantwortliches Handeln ermöglichen und klar festlegen, wie solche Entscheidungen unter Einbindung welcher Stakeholder getroffen und umgesetzt werden. Unternehmensentscheidungen, die mit politischen Botschaften verknüpft sind oder politisch sensible Themen betreffen, sollten idealerweise in einem unabhängigen Gremium besprochen werden.

So ist im Fall eines Rückzugs aus dem Russlandgeschäft im Zuge des Kriegs in der Ukraine vorab gründlich zu analysieren, welche Konsequenzen dies für betroffene Unternehmensangehörige und weitere Stakeholder hat (z.B.  Kunden in Russland). Werden damit Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region abgebaut, die geringqualifizierte Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen? Ist die Versorgung mit Gütern, die das Unternehmen auf dem russischen Markt vertreibt, weiterhin gewährleistet? Um welche Art von Gütern handelt es sich (Güter täglichen Bedarfs, Luxusgüter etc.)? 

Die Verantwortungsübernahme für politisch relevante Fragen des eigenen Geschäfts ist definitiv nicht trivial und bedarf aufgrund von vielschichtigen ethischen Herausforderungen, unter anderem auch im Zuge der Digitalisierung und der damit verbundene Chancen und Risiken, fundierter Expertise in vielen Bereichen (z.B. Erkennen von Bias in Daten und Analysetools, Inklusion und Nachhaltigkeit im Produktdesign).

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Prof. Dr. Lisa Ranisch: Ich glaube, einen sehr großen Einfluss – auch auf politische Werthaltungen – haben Unternehmen durch die Gestaltung ihrer Unternehmenskultur. Die Werte, die sie hier in den Vordergrund stellen und aktiv fördern, werden die Menschen im Unternehmen und dessen Umfeld beeinflussen und formen. Dies kann sich direkt und indirekt auch in politischen Einstellungen manifestieren. Je nachdem ob z.B. tendenziell Kooperation, Teamleistungen und Kreativität honoriert werden, oder eher persönliche Verantwortung, individuelle Erfolge und Hierarchietreue verlangt sind, werden sich diese für den Erfolg im Unternehmen notwendigen Eigenschaften auf die Persönlichkeit der Menschen auswirken. Auch KundInnen und weitere Stakeholder werden durch im Unternehmen getroffene Wertentscheidungen beeinflusst. So macht eine Werbekampagne unter dem Motto “Geiz ist geil” einen Wert salonfähig, der traditionell als Laster angesehen wird. 

Ohne die genannten Beispiele im Detail bewerten zu wollen, haben die Unternehmenskultur und insbesondere die von Führungskräften vorgelebten Werte einen großen Einfluss auf das Verhalten und die Einstellungen der Personen im Unternehmen und darüber hinaus. Unternehmen sollten diese Macht daher als Chance ansehen, durch eine verantwortungsvolle Unternehmenskultur einen positiven Beitrag auf dem Weg der Transformation hin zu einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft zu leisten.

Insgesamt wünsche ich mir zudem und unabhängig vom aktiven politischen Engagement, dass Unternehmen notwendige politische Entwicklungen und Reformen nicht behindern, wie etwa in den Bereichen Energiewende, Lieferketten oder Massentierhaltung – hier gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten u.a. aufgrund großer politischer Einflussnahme von Unternehmen zu geringe Fortschritte. Umso wichtiger, dass immer mehr Unternehmen, und vor allem Start-ups, von sich aus und ohne politischen Druck sich dieser Probleme annehmen.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Prof. Dr. Lisa Ranisch

Prof. Dr. Lisa Ranisch ist Professorin für Nachhaltige Unternehmensführung und Angewandte Ethik an der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Amberg-Weiden und leitet den Masterstudiengang “International Management & Sustainability”. Sie lehrt und forscht unter anderem zu den Themen Wirtschafts- und Unternehmensethik, Nachhaltigkeitsmanagement, Digitalethik und CSR. Zuvor war sie Managerin bei PwC im Bereich Governance, Risk und Compliance und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Konstanz Institut für Corporate Governance. Sie ist spezialisiert auf die Entwicklung und Implementierung von werteorientierten Compliance-Management-Systemen und Konzepten zur Förderung von integrem Handeln in Unternehmen. Ihre Ausbildung in (Wirtschafts-)Ethik sowie Politik- und Verwaltungswissenschaft absolvierte sie an den Universitäten Konstanz, Jena, Friedrichshafen und Berkeley, California.

 

 

 

 

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