Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Prof. Dr. Laura Bechthold.

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Prof. Dr. Laura Bechthold: Unternehmer:innen spielen schon immer eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Bei politischem Engagement von Unternehmen geht es heute nicht mehr nur um Lobbyarbeit, öffentliche Meinungsäußerung oder Parteispenden; politische Einflussnahme beginnt inzwischen zum Teil im Kern privatwirtschaftlicher Geschäftsmodelle – versteckt und schwer nachvollziehbar im virtuellen Raum. Mit neuen Technologien, wie dem Einsatz künstlicher Intelligenz und der damit verbundenen wachsenden Datenökonomie, steigt die gesellschaftliche Macht von Unternehmen immens. Mir kommen direkt große Skandale aus der Technologiewelt in den Sinn: Zum Beispiel der Datenschutzskandal rund um Cambridge Analytica, bei dem die Daten von bis zu 87 Millionen Facebook-Nutzern ohne deren Zustimmung für politische Zwecke verwendet wurden, oder die niederländische Kinderbetreuungsgeld-Affäre, bei der aufgrund von verzerrten Algorithmen eine beträchtliche Anzahl von Eltern fälschlicherweise beschuldigt worden war, Sozialleistungen in betrügerischer Absicht in Anspruch genommen zu haben. Diese Beispiele zeigen, wie privatwirtschaftlich programmierte und vertriebene Algorithmen  immer mehr Einfluss auf das öffentliche Leben nehmen können. Entsprechend ist aus meiner Sicht der Bereich der Corporate Political Responsibility auch eng verknüpft mit der Corporate Digital Responsibility, für die ich mich stark einsetze.

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Prof. Dr. Laura Bechthold: Es nicht mehr zeitgemäß, wenn Unternehmen sich allein auf ihre wirtschaftliche Funktion berufen, da die Konvergenz der verschiedenen Sektoren schon zu weit vorangeschritten ist. Wie in der ersten Frage beantwortet, liegt die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen meines Erachtens in ihrer wachsenden Fähigkeit, politischen und gesellschaftlichen Einfluss auszuüben, begründet. Was die Angemessenheit einzelner Aktivitäten betrifft, so gibt es natürlich zum einen den reguliert-verbotenen Bereich. Dieser betrifft alle Aktivitäten, die rechtlich verboten sind.

Gerade im Innovations- und Technologiebereich sehen wir aber oft das sogenannte “Pacing Problem”, welches beschreibt, dass die Geschwindigkeit, mit der neue Technologien entwickelt und eingesetzt werden, deutlich höher ist als die Geschwindigkeit, mit der sich die Gesellschaft auf sie einstellen kann und mit der wir die Auswirkungen dieser Technologien auf alle Lebensbereiche verstehen können. Entsprechend folgen Regulierungen oft erst dann, wenn es schon zu spät ist und negative Effekte bereits aufgetreten sind. Im Umkehrschluss heißt dies, dass es auf die Unternehmen selbst ankommt, verantwortungsvoll zu handeln: Bringe ich eine Software auf den Markt, die möglicherweise diskriminierende Strukturen verstärkt? Wie gehe ich mit der Privatsphäre und den Daten meiner Nutzer:innen um? Mache ich wirklich alles, was rechtlich nicht verboten und technisch möglich ist? Unternehmen müssen für sich selbst Leitlinien für verantwortungsvolle Innovation und den ethischen Umgang mit Technologien erarbeiten, insbesondere je mehr sie damit in gesellschaftliche oder politische Bereiche eingreifen.

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Prof. Dr. Laura Bechthold: Im digitalen Raum wird politisches Engagement von Unternehmen aus meiner Sicht dann gefährlich, wenn es manipulativ in Demokratieprozesse eingreift. Der Cambridge-Analytica Skandal ist das beste Beispiel dafür. Eine weitere Entwicklung, die ich skeptisch beobachte, ist die wachsende politische Einflussnahme und Macht von einzelnen Unternehmer:innen. Ein Beispiel ist Elon Musk, der als Unternehmer von vielen Menschen glorifiziert und oft wenig kritisch hinterfragt wird. Durch seine hohe Reichweite kann er leicht politischen Druck ausüben, wie zum Beispiel im Falle der Brandenburger Landesregierung beim Bau der Tesla-Fabrik, und sogar diplomatisch höchst-brisante Prozesse durch unüberlegte Aussagen anheizen, wie seine Tweets im Rahmen des Ukraine-Kriegs gezeigt haben. Diese Art von Einmischung halte ich für anmaßend und teilweise auch gefährlich.

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Prof. Dr. Laura Bechthold: Da gibt es zum einen die klaren Strukturen, die verantwortungsvolle Entscheidungen in Bereichen ermöglichen, in denen Risiken bekannt sind und wo es klare Unternehmensziele gibt. Hier sind Corporate Compliance Programme, Codes of Conduct oder andere Leitlinien sinnvoll, die einen konkreten Handlungsrahmen vorgeben. Das beste Compliance Programm bringt allerdings nichts, wenn es nicht gelebt wird. Die Leitlinien müssen in alle Unternehmensprozesse getragen und dort aktiviert werden, wo sie umgesetzt werden sollen. Verantwortliches Handeln und Weitsicht müssen Teil der Unternehmenskultur und für Mitarbeiter:innen zur Selbstverständlichkeit werden. Da ist es nicht mit einmaligen Schulungen getan, sondern es kommt darauf an, Routinen zu entwickeln.

Zum anderen gibt es noch den Bereich, der insbesondere die bereits beschriebenen Themen im Bereich der neuen Technologien betrifft. Gerade bei hoch-innovativen Produkten ist es oft schwer abzuschätzen, ab wann eine Entscheidung, zum Beispiel im Entwicklungsprozess oder bei der Produkteinführung, weitreichende Folgen haben kann. Waren sich zum Beispiel die Programmierer:innen in den oben genannten Skandalen bewusst, welche Wirkung ihre Algorithmen haben und welche Kaskadeneffekte sich entwickeln würden? Ich bezweifle dies. Entsprechend halte ich es für unbedingt notwendig, dass Fähigkeiten zur Abschätzung und zum Umgang mit potenziellen Technologiefolgen mehr in Ausbildungen und Trainings integriert werden. Auch hier geht es darum, Routinen und Heuristiken zu entwickeln, mit denen Mitarbeiter:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette lernen, zu erkennen, wann eine Entscheidung einer kritischen Reflexion und moralischen Bewertung bedarf. Dabei können auch Foresight-Methoden als konkrete Tools helfen, mögliche Risiken zu erkennen und Zukunftsszenarien entlang des eigenen Wertekanons zu entwickeln.

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Prof. Dr. Laura Bechthold: Unternehmer:innen sind Visionäre, Innovatoren und Meister der “kreativen Zerstörung” im Schumpeter’schen Sinne. Um die für unsere globale Gesellschaft so wichtige Twin-Transition, also die gleichzeitige grüne und digitale Transformation, zu meistern, brauchen wir die Initiative aller gesellschaftlichen Akteure. Ich wünsche mir, dass Unternehmer:innen nicht zaghaft auf Lösungen und Vorgaben der Politik warten oder Themen wie Nachhaltigkeit als notwendiges Übel nur so weit wie unbedingt nötig umsetzen. Vielmehr wünsche ich mir, dass Unternehmen ihre schöpferische Kraft einsetzen und mit Pionier- und Tüftlergeist neue Impulse setzen, um zur Lösung unserer gegenwärtigen Herausforderungen und zum Wohle der Gesellschaft beitragen.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

 

 

 

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