Vom 06.-08- November 2023 veranstaltete die TU-Dresden-Professur Responsible Management um Prof. Dr. Markus Scholz ein Symposium zum Thema Business & Human Rights in Autocracies im Hannoveraner Schloss Herrenhausen. Die Veranstaltung war Teil der von der Volkswagenstiftung organisierten und finanzierten Themenwoche Human Rights in Times of multiple Challenges. Anliegen des Symposiums war es, die Verantwortung von Unternehmen aus demokratischen Staaten für die Einhaltung und den Schutz von Menschenrechten an Produktions-, Dienstleistungs- oder (Zu)Lieferstandorten in autokratischen Ländern zu diskutieren. Als impliziter Bezugsrahmen der Diskussion fungierten dabei einerseits wirtschaftsethische Konzepte (wie Corporate Citizenship, Corporate Diplomacy und Political CSR)[1] und andererseits die bereits 2011 formulierten UN Guiding Principles of Business and Human Rights.

Den Veranstaltern des Symposiums ging es zum einen darum, die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Verantwortung von Unternehmen im Rahmen ihrer Business-Aktivitäten theoretisch-konzeptionell zu klären. Zum anderen zielten sie darauf, im Rahmen von Podiumsdiskussionen und Workshops – unter Beteiligung von repräsentativen Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft – realistische Handlungsoptionen für Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten in autokratischen Kontexten herauszuarbeiten.

Das international renommierte Teilnehmerfeld der Podiumsdiskussionen und Workshops bestand dabei u.a. aus Prof. Dr. Judith Schrempf-Stirling (University of Geneva), Gerald Pachoud (ehemaliger Assistent und Berater von John Ruggie als UN-Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte von 2005-2011]), Prof. Dr. Andreas Scherer (Universität Zürich), Cigdem Cimrin, PhD (Minerva BHR Consultancy Company), Dr. Nikolas Keßels (BDI), Dr. Annika Bleier (Head of ESG & Sustainability der GvW Wirtschaftskanzlei), Caspar Dohmen (unabhängiger Journalist), Britta Jacob (Senior Manager Global Governmental Affairs bei der Bayer AG), Maxi Leuchters (Hans Böckler Foundation), Ph.D. Onna-Malou van den Broek (University of Exeter), Zena Al-Esia (University of Bath), Dr. Dorothee Winkler (Universität Zürich), Michael Windfuhr (Deutsches Institut für Menschenrechte)und Joris Lenssen (Scholz & Friends).

Im Folgenden soll es zunächst darum gehen, die im Rahmen des Symposiums entfalteten theoretischen Überlegungen zur politischen Verantwortung von Unternehmen zu explizieren. Darauffolgend soll in einem zweiten Teil skizziert werden, welche Strategieoptionen Unternehmen zum Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in einem autokratisch geprägten Wertschöpfungsumfeld verfügbar sind. Ein dritter Abschnitt beschreibt, welche strategischen Empfehlungen für Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten in autokratischen Kontexten im Rahmen von Podiumsdiskussionen und Workshops erarbeitet wurden. Abschnitt 4 geht schließlich auf geäußerte Kritiken an einem menschenrechtsbezogenen CPR-Konzept und damit auf geforderte Begrenzungen der politischen Verantwortung von Unternehmen ein.

 

I. Politische Unternehmensverantwortung (Corporate Political Responsibility) als Verantwortung von Unternehmen für die Wahrung und den Schutz von Menschenrechten

In Ihrem einleitenden Referat zum Leitthema des Symposiums stellt Judit Schrempf-Stirling (Geneva School of Economics and Management) das Konzept der politischen Unternehmensverantwortung in einen direkten Zusammenhang zu Forderungen nach der Wahrung und dem Schutz von Menschenrechten. So wurde Corporate Political Responsibility von ihr als Verantwortung von Unternehmen für die Wahrung und Einhaltung von Menschenrechten im Kontext ihrer Wertschöpfungsaktivitäten rekonstruiert. Schrempf-Stirling betont in diesem Zusammenhang, dass Menschenrechte im Selbstverständnis der “Universal Declaration of Human Rights” von 1948 keine legalen, sondern moralisch-ethische Forderungen darstellen. So formuliere etwa Neill (2019, 484): Human rights exist prior to and independently of the texts that aim to define, enact, and protect them.” Analog hierzu Marta Nussbaum (2002): “Human rights are especially urgent and morally justified claims that a person has, simply in virtue of being human and independently of belonging to a specific nation, class, religion, or any other group” (vgl. Nussbaum 2002: 135). Insofern die Menschenrechte nicht nur für lokal begrenzte Gesellschaften, sondern für alle Angehörigen der Spezies Mensch gelten, spannt sich die polis der Individuen, für die Akteure eine menschenrechtsschützende und in diesem Sinne politische Verantwortung tragen, dieser Konzeptualisierung von CPR folgend global auf.

Warum, so stellt sich hier im Anschluss die Frage, sollen mit Blick auf den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen im Besonderen Unternehmungen als Verantwortungssubjekte adressiert werden? Die Referentin stellt diesbezüglich heraus, dass es gemäß der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die Verantwortung “eines jeden Organs der Gesellschaft” sei, die Menschenrechte in seinem Bereich zu schützen. Die Formulierung “eines jeden Organs der Gesellschaft” bezieht dabei auch Unternehmen als sog. juristische Personen eines Gemeinwesens ausdrücklich mit ein.

Von herausragender Bedeutung für den wirtschaftsethischen Menschenrechtsdiskurs ist im Weiteren die Frage, wann und in welchem Zusammenhang Unternehmen Verantwortung für die Einhaltung und den Schutz von Menschenrechten tragen. In Anlehnung an jüngere Konzepte der politischen Unternehmensverantwortung betont Schrempp-Stirling hier, dass eine menschenrechtsbezogene Verantwortung von Unternehmen nicht nur für den Fall gelte, in dem letztere innerhalb ihrer Wertschöpfung aktiv an der Verursachung von Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind. Sie gelte vielmehr auch dann, wenn Unternehmungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht proaktiv gegen Menschenrechtsverletzungen in ihrem Einflussbereich interveniert haben. Verantwortung der Unternehmen sei entsprechend nicht nur – wie von Ruggie und Mitarbeitern in ihren Guiding Principles on Business and Human Rights gefordert -, Menschenrechte in ihrem Einflussbereich passiv zu respektieren, sondern diese darüberhinausgehend nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten aktiv in ihrem Einflussbereich zu schützen.

Diese erweiterte Auffassung von politischer Unternehmensverantwortung ist inspiriert durch Überlegungen von Iris Marion Young (2006) zum Konzept der strukturellen Ungerechtigkeit. Young zufolge liegt strukturelle Ungerechtigkeit insbesondere dann vor, “when social processes put large categories of persons under a systematic threat of domination or deprivation of the means to develop and exercise their capacities, at the same time as these processes enable others to dominate or have a wide range of opportunities for developing and exercising their capacities” (114). Sie selbst führt Sweatshops als Beispiel dafür an, dass fallweise Menschenrechtsverletzungen wie Ausbeutung und Zwangsarbeit im Kontext wirtschaftlicher Wertschöpfungsaktivitäten auch in den Lieferketten westlicher und damit vermeintlich zivilisierter Unternehmungen verbreitet sind. Strukturelle Ungerechtigkeit ist Young zufolge dabei aufzufassen als eine spezielle Form von “moral injustice” (ebd.). Sie unterscheide sich in ihrer intentionalen Logik sowohl von Formen unrechtmäßigen individuellen Handelns als auch von Formen vorsätzlicher staatlicher Unterdrückung. Moral injustice entstehe als Konsequenz des interaktiven Zusammenspiels von individuellen und kollektiven Akteuren, die ihre je eigenen Interessen innerhalb eines formell gegebenen Rahmens von institutionellen Regeln und weithin akzeptierten sozialen Normen verfolgen. Nach Youngs Auffassung gelten als Verantwortungsträger für Formen von struktureller Ungerechtigkeit “all the persons who participate … in the ongoing schemes of cooperation that constitute these structures” (ebd,). Sie sind dabei ebenfalls nicht in dem Sinne für das Unrecht verantwortlich, als sie dieses kausal verursacht hätten, sondern in dem Sinne, “that they are [implicitly] part of the process that causes them” (114).

Der Umstand der impliziten und nicht-intendierten Täterschaft wird in diesem Zusammenhang über das Konzept der “stillen Komplizenschaft” (silent complicity) rekonstruiert. Stille Komplizenschaft meint hier – in Anlehnung an eine Begriffsbestimmung Florian Wettsteins (2012, 37) -, “that corporations have moral obligations that reach beyond the negative realm of doing no harm.” Das Konzept der stillen Komplizenschaft erweitert aus deontologischer Perspektive den Verantwortungsraum von Unternehmen über den Bereich aktiver positiver Pflichten (active positive duties) hinaus in den Bereich passiver negativer Pflichten (passive negative duties).

In Einklang mit diesen Überlegungen sehen sich Unternehmen im öffentlichen Leben zunehmend mit Verantwortungszuschreibungen konfrontiert, die weder über Marktsignale kommuniziert noch durch staatliche Regulierung auferlegt werden (vgl. Wettstein, 2009: 243). Dementsprechend können solche Forderungen nicht durch die bloße Einhaltung staatlicher Gesetze und Verordnungen oder durch unternehmerisches Geschick (für über den Marktmechanismus vermittelte Forderungen) bewältigt werden, sondern müssen direkt angegangen werden (vgl. Scherer und Palazzo 2007). Als Ergebnis dieser Entwicklungen hat das moderne Unternehmen den letztgenannten Autoren zufolge sowohl politische Autorität als auch politische Verantwortung erworben.

Politische Verantwortungsübernahme – und dies skizziert den letzten theoretischen Leitgedanken – sei insbesondere dort einzufordern, wo Unternehmungen wertschöpfend in solchen staatlich-politischen Kontexten engagiert sind, in denen Teilen der Bevölkerung – ob mit oder ohne Staatsbürgerrechte – grundlegende Freiheitsrechte vorenthalten bzw. entzogen werden. Politische Strukturverhältnisse, in denen genau dies passiert, werden in Literatur landläufig als autokratisch bezeichnet. Autokratien sind dabei übergreifend durch vier Merkmale gekennzeichnet (vgl. Boese 2021): 1. die Einschränkung von freien und fairen politischen Wahlen, 2. eine fehlende institutionelle Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative, 3. Einschränkungen rechtsstaatlicher Selbstbindungsgarantien bei der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols, und 4. die Unterdrückung allgemeiner bürgerlicher und politischer Freiheitsrechte. Von Interesse mag im Weiteren der ergänzende empirische Hinweis sein, dass 2020 nur etwa 32% der Weltbevölkerung unter politischen Herrschaftsverhältnissen lebten, die man – bei allen Unzulänglichkeiten im Detail – näherungsweise als demokratisch bezeichnen kann (vgl. Boese 2021). M.a.W.: Die erfahrene Normalität politischer Herrschaft für die Weltbevölkerung ist gegenwärtig durch Formen autokratischer Herrschaftsausübung gekennzeichnet. Genau diese Vorüberlegung begründen das unternehmensethische Interesse an dem Leitthema des Symposiums: nämlich an dem Thema Business & Human Rights in Autocracies.

 

II. Unternehmensstrategien zum Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in einem autokratisch geprägten Wertschöpfungsumfeld

Die Frage, wie sich Unternehmen in Anbetracht nicht positiv verantworteter Menschenrechtsverletzungen im Kontext ihrer Wertschöpfungsaktivitäten – wie etwa im Kontext autokratischer Herrschaftsverhältnisse gegeben – verhalten können, war ab dem zweiten Tag des Symposiums zentraler Bezugspunkt der Erörterungen.

Den Auftakt hierzu bildete ein Vortrag von Markus Scholz zum Thema: Does your Business need a Human Rights Strategy?[2]

Das theoretische Scharnier für die Übersetzung der menschenrechtlich begründeten Forderung nach einer Corporate Political Responsibility in die managerielle Unternehmensrealität von Unternehmungen stellten dabei die von Hirschman (1970) herausgearbeiteten Strategietypen von Exit, Voice und Loyalty dar. Fungierte diese Trias bei Hirschman im Original noch als Typologie strategischer Reaktionsmuster auf Unternehmenskrisen, bedingt etwa durch eine rückläufige Unternehmens-Performance in einem gegebenen Marktsegment, nutzt Scholz sie als Deklinationsmuster für mögliche unternehmerische Reaktionsweisen auf die erhöhte Wahrscheinlichkeit oder auch das (gehäufte) Auftreten von Menschenrechtsverletzungen im Kontext der Wertschöpfungsaktivitäten des Unternehmens. So habe ein Unternehmen unter den skizzierten Bedingungen wahlweise die Möglichkeit, 1. in stiller Komplizenschaft mit dem autoktratischen Regime seine Wertschöpfungsaktivitäten fortzusetzen (Loyalty-Option), 2. die durch Menschenrechtsverletzungen geprägten Wertschöpfungskontexte zu verlassen (Exit Option) oder 3. im Rahmen der Nutzung von Freiheitsgraden des individuellen oder kollektiven Handelns Schutzräume für Stakehoder zu schaffen, deren Menschenrechte akut verletzt wurden resp. in Gefahr stehen verletzt zu werden. Die Hirschman’schen Strategie-Optionen stellen dabei nach Scholz nicht kategoriale Alternativen im Sinne einer einmalig zu treffenden Entweder-Oder-Entscheidung dar. Vielmehr ist das Unternehmen angesichts sich auch dynamisch entwickelnder politischer Kontextbedingungen im Wertschöpfungsumfeld in iterativen Zyklen immer wieder neu vor die Frage gestellt, ob es eine einmal getroffene complicity-Entscheidung angesichts sich häufender menschenrechtlicher Red Flags im unternehmerischen Wertschöpfungskontext durch eine individuell oder kollektiv in Szene gesetzte Voice-Reaktion korrigiert oder – insbesondere im Falle des graduellen Involviertseins in Menschenrechtsverletzungen durch das autokratische Regime – Formen des Marktaustritts (Exit) am betroffenen Wertschöpfungsstandort forciert und hier Formen der Devestition von Unternehmenskapital vorantreibt. Bezugnehmend auf aktuelle Fallbeispiele wurde dabei diskutiert, unter welchen Randbedingungen mit Blick auf die politische und menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen die Exit-Entscheidung die beste Unternehmensstrategie darstellt.

 

III. Podiumsdiskussionen und Workshops

im Rahmen von Podiumsdiskussionen und Workshops – unter Beteiligung von repräsentativen Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft – wurden schließlich realistische Strategieempfehlungen für Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten in autokratischen Kontexten herausgearbeitet.

Leitfragen der Diskussion waren in diesem Zusammenhang:

  1. Wie können Unternehmen im Vorfeld des Markteintritts menschenrechtliche Probleme in ihrer Zielregion erkennen?
  2. Welche Optionen individuellen und kollektiven Handelns haben Unternehmen, um unter autokratisch geprägten Kontextbedingungen wirksam die Menschenrechte ihrer primären und sekundären Stakeholder zu schützen?
  3. Was sind mögliche Red Flags, die Unternehmen zu Formen des Marktaustritts aus autokratisch geprägten Marktkontexten veranlassen sollten?

Bezogen auf diese Fragen wurden zusammenfassend drei Empfehlungen durch die Workshop-Gruppen formulieren:

Zu 1: Informieren Sie sich im Vorfeld der internationalen Expansion von Wertschöpfungsaktivitäten auf verschiedenen Ebenen über menschenrechtsbezogene Red Flags in der Wertschöpfungsregion

  • Makro- bzw. Länderebene: Wie rekonstruieren die Human Rights & Rule of Law-Indikatoren im Fragile States Index die Menschenrechtslage im Zielland der Werstchöpfungsaktivität?
  • Branchenebene: Wie stark prägen Menschenrechtsverletzungen (bzw. der Vorwurf derselben) die Normalität wirtschaftlichen Handelns von Unternehmen der je eigenen Branche im Zielland geplanter Wertschöpfungsaktivitäten? (SASB und BHRRC-Datenbank)
  • Regionale Ebene: Wieweit konzentrieren sich Red-Flags für Menschenrechtsverletzungen genau in den Teilregionen des Ziellandes, in denen das Unternehmen wertschöpfend tätig werden möchte?

 

Zu 2: Aktualisieren Sie im Kontext bestehender international aufgespannter Wertschöpfungsaktivitäten sowohl in periodisch festgelegten Zeitintervallen als auch in Reaktion auf gemäß der Berichterstattung u.a. von Human-Rights-NGO sensible menschenrechtsverletzende Vorfälle Ihre Bestandsaufnahme von menschenrechtsbezogenen Red Flags in ihren Wertschöpfungsregionen.

  • Siehe oben
  • Inspektion von Fall- und Regionalberichten von Menschenrechts-NGO’s (z.B. von Human Rights Watch oder Amnesty International)
  • Agieren Sie in Reaktion auf sensible Veränderungen der jeweils rekonstruierten menschenrechtsbezogenen Kontextbedingungen: Entscheidend sind hier – in Anlehnung an Smith/Scholz/Williams 2022 – die wahrgenommene moralische Dringlichkeit und der jeweils gegebene Umfang der unternehmerischen Einflussmöglichkeiten.
    • Bei geringem eigenen Einfluss und geringer Dringlichkeit bietet sich eine nicht konfrontative Strategie an. Unternehmen können sich in diesen Situationen dennoch engagieren, beispielsweise indem sie zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen.
    • Ist der Einfluss eines Unternehmens hoch, kann es sich im ansonsten gleichen Szenario direkter etwa mit Aufklärungs- und Bildungskampagnen nach innen und außen einbringen.
    • Steigt die Dringlichkeit zum Handeln, können auch Unternehmen mit geringem Einfluss sich zu Kollektiven zusammentun oder bereits existierenden Bündnissen beitreten.

 

Zu 3: Losgelöst von einer näheren Betrachtung der vorher getätigten unternehmerischen Investitionen in einer Zielregion und der konkreten Art der vollzogenen Wertschöpfungsaktivität lassen sich nur schwer eindeutige Red Flags benennen, die ein Unternehmen zur Übernahme der Exit-Option aus einem autokratisch geprägten Wertschöpfungskontext veranlassen sollten. Gleichwohl lässt sich spezifizieren, dass je schwerwiegender die menschenrechtsverletzenden Vorfälle in der Zielregion werden und je geringer die vor Ort gegebenenen Eindlussmöglichkeiten des Unternehmens sind, desto angeratener ist die Realisierung von Devestment- oder Exit-Optionen an den betroffenen Unternehmensstandorten. Dies gilt umso mehr dann, wenn das Unternehmen über seine vor Ort bestehenden Unternehmenskooperationen oder über seine bereitgestellten Produkte und Dienstleistungen implizit in die Verursachung oder auch Verschleierung schwerster Menschenrechtsverletzungen einbezogen wird. Entsprechend gilt als Managementempfehlung:

  • Prüfen sie nach Auftreten sensibler menschenrechtsbezogenen Viktimierungsfällen oder auch einer Red-Flag-Häufung im Kontext ihrer Wertschöpfungsaktivitäten immer wieder erneut die Exit-Option und leiten Sie auf der Ebene zu tätigender Investitionen in der Standortregion ggf. Devestmentoperationen ein.

 

Ein menschenrechtssensibles Agieren im Kontext der Organisation unternehmerischer Wertschöpfungsaktivitäten schließt nicht aus, dass man autokratische Kontextbedingungen fallweise und partiell in Kauf nimmt. Unter Gesichtspunkten der politischen Unternehmensverantwortung geht es weniger um die Umsetzung deontologischer Reinheitsgebote als um die praktizierte Einsicht, “that you sometimes have to favour the bad to avoid the worse”. Gleichwohl dürfen Unternehmen ihre auch implizite Verantwortung für die Menschenrechtslage in ihren ihren Wertschöpfungsregionen nicht ausblenden.

 

IV. Kritik am Konzept der Silent Complicity

Im Zuge der verschiedenen Podien des veranstalteten Symposiums wurde insbesondere von einem Mitverfasser der UN Guiding Principles of Business and Human Rights moniert, dass der Begriff der stillen Komplizenschaft (silent complicity) als Grundlage für ein Konzept der Corporate Political Responsibility zu unscharf sei. Die Kritik richtete sich hier insbesondere auf den Umstand, dass der insistierende Verweis auf passive negative Pflichten von Unternehmen, wie durch das silent-complicity-Konzept forciert, eine klare und distinkte Benennung der Grenzen der politischen Verantwortung von Unternehmungen praktisch verunmögliche. Dieser Umstand könnte dazu beitragen, dass das übergeordnete Konzept der politischen Unternehmensverantwortung – jenseits aller moralischen Appelle – seine Prägekraft für eine menschenrechtssensible Ausrichtung unternehmerischer Entscheidungsprozesse nicht nur in autokratischen Wertschöpfungskontexten einbüßt und verliert.

 

V. Fazit

Insgesamt bot das von Markus Scholz und Maria Riegler veranstaltete Symposium Business & Human Rights in Autocracies einen interessanten Einblick in aktuelle Diskussionen zum Corporate Political Responsibility-Konzept. Die Thematisierung menschenrechtsbezogener Risiken nicht nur innerhalb, sondern auch im nationalen Kontext von Wertschöpfungsaktivitäten nimmt dabei ein Leitmotiv der “Wandel-durch-Handel”-Diskussion auf und spiegelt dieses kritisch und aktivierend in den Diskurs zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen zurück. Positiv und hilfreich an dem Symposium war vor allem, dass es viele Hinweise dafür bereitstellte, wie sich Aspekte einer menschenrechtsbezogenen CPR unternehmensstrategisch in verschiedene Phasen des Engagements in einem autokratisch geprägten Wertschöpfungsumfeld einbeziehen lassen. Gleichwohl steht das menschenrechtsbezogene CPR-Konzept über seine begriffliche Anbindung an das silent complicity-Argument in Gefahr, seine Verantwortungszuschreibungen für Unternehmen zu entgrenzen. Dies könnte negativ auf die Bereitschaft von Unternehmen zurückwirken, ihr Engagement in einem autokratisch geprägten Wertschöpfungsumfeld mit einer proaktiven Übernahme politischer Verantwortung zu flankieren.

 

Literatur

Boese, Vanessa (2021): Demokratie in Gefahr?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 26-27,S. 24-31

Hirschman, Albert O. (1970): Exit, Voice, and Loyalty: Response to Decline in Firms, Organizations, and States. Cambridge, Mass.: Harvard University Press

Neill, David A. (2019): Conception of Human Rights, in J. W. Koterski & G. Oppy (Eds.), Theism and Atheism: Opposing Arguments in Philosophy (pp. 482-487). Farmington Hills, United States: Macmillan Reference

Nussbaum, M. C. 2002. Capabilities and Human Rights, in: Global Justice and Transnational Politics : Essays on the Moral and Political Challenges of Globalization, ed. P. De Greiff and C. Cronin, pp. 111-149. Cambridge, Mass.: The MIT Press

Scherer, A. G., and G. Palazzo. 2007. Toward a political Conception of Corporate Responsibility: business and Society seen from a Habermasian perspective, in: Academy of Management Review 32 (No. 4), pp. 1096–1120.

Smith, N.Craig; Scholz, Markus; Williams, Jane (2022): Does your Business need a Human Rights Strategy?, in: MIT Sloan Management Review, Vol. 63 (No.2), pp. 64-72

Scholz, Markus; Smith, N. Craig (2020): Six ways companies can promote and protect human rights, in: MIT Sloan Management Review, November 03, 2020. Internetquelle: https://sloanreview.mit.edu/article/six-ways-companies-can-promote-and-protect-human-rights/, aufgerufen am 07.03.2024

Scholz, Markus (2023): Corporate Diplomacy – Die Relevanz des politischen Engagements von Unternehmen nach der Zeitenwende. Gütersloh: Liz Mohn Center. Internetquelle: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/corporate-diplomacy, aufgerufen am 07.03.2024

The Fund for Peace (2014): Fragile States index. Internetquelle: https://fragilestatesindex.org/indicators/p3/, aufgerufen am 20.02.2024

UN (2011): UN Guiding Principles of Business and Human Rights. Internetquelle: https://www.business-humanrights.org/en/big-issues/un-guiding-principles-on-business-human-rights/, aufgerufen am 20.02.2024

UN General Assembly (1948): Universal Declaration of Human Rights, in: United Nations, 218 (III) A, Paris. Internetquelle: https://www.un-org/en/universal-declaration-human-rights/, aufgerufen am 07.03.2024

Wettstein, Florian (2012): Silence as Complicity: Elements of a Corporate Duty to Speak Out Against the Violation of Human Rights, in: Business Ethics Quarterly 22 (1):37-61.

Young, Iris Marion (2006): Responsibility and Global Justice: A Social Connection Model, in: Social Philosophy and Policy 23: 102–30.

 

Fussnoten

[1] Vgl. hierzu auch: Scholz, Markus (2023): Corporate Diplomacy – Die Relevanz des politischen Engagements von Unternehmen nach der Zeitenwende. Gütersloh: Liz Mohn Center

[2] Vgl. hierzu auch: Scholz, Markus; Smith, N. Craig (2020): Six ways companies can promote and protect human rights, in: MIT Sloan Management Review, November 03, 2020, sowie Smith, N.Craig; Scholz, Markus; Williams, Jane (2022): Does your Business need a Human Rights Strategy?, in: MIT Sloan Management Review, Vol. 63 (No.2), pp. 64-72

 

Über Eckhard Burkatzki

Herr PD Dr. rer. pol. habil. Eckhard Burkatzki ist aktuell Privatdozent und wissenschaftlicher Assistent an der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Responsible Management, am Internationalen Hochschulinstitut (IHI) Zittau, einer zentralen wissenschaftlichen Einrichtung der TU Dresden.

Seine akademische Vita führte ihn, nach Promotion zum Dr. phil. an der Universität Bielefeld (“Verdrängt der Homo oeconomicus den Homo communis?” [DUV-Verlag]), im Jahr 2005 als Hochschulassistent an die Professur für Sozialwissenschaften, insbesondere Wirtschaft und Gesellschaft, am IHI Zittau. Ebenda Habilitation zum Dr. rer.pol.habil. im Jahr 2012 mit der Arbeit “Kriminalität im Marktkontext”. Mit Ernennung zum Privatdozenten im Dezember 2012 wurde ihm die Lehrbefugnis für das Fachgebiet “Sozialwissenschaften” insbesondere ‘Methoden der empirischen Sozialforschung’ verliehen.

Zu den derzeitigen Forschungsschwerpunkten zählen die Soziologie von Korruption und Wirtschaftskriminalität sowie das Thema Resozialisierung der ökonomischen Rationalität. Jüngere Forschungen befassen sich ebenfalls mit “Wirtschaftsethik(en) des Postkapitalismus”.

 

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