Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Eckart von Klaeden.

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Eckart von Klaeden: Gerade die aktuelle Transformation der Automobilindustrie stellt uns vor Herausforderungen, die wir nur gemeinsam mit der Politik lösen können. Wie können unsere Werke so transformiert werden, dass sie im Elektrozeitalter wettbewerbsfähig sind? Welche regulatorischen und strukturellen Voraussetzungen muss die Politik schaffen, damit die Elektromobilität möglichst nutzerfreundlich ist? Treibt der Gesetzgeber zum Beispiel den Ausbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur voran? Das sind nur drei von vielen Fragen, die unser Unternehmen gerade beschäftigen – und die wir nur im Schulterschluss mit der Politik erfolgreich angehen können.

Deshalb beginnt politisches Engagement von Unternehmen mit dem kontinuierlichen Dialog mit politischen Entscheidungsträgern. In diesem Dialog wollen wir die größtmögliche Schnittmenge zwischen gesellschaftlichen und unternehmerischen Interessen finden. Denn vollkommen zurecht erwartet die Politik von Unternehmen, dass sie sich nicht nur auf die unmittelbaren Kernaufgaben wie Gewinnerzielung, Forschung und Entwicklung sowie Beschäftigung konzentrieren, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Kein Unternehmen ist auf Dauer erfolgreich, ohne das Gemeinwohl zu berücksichtigen und in die eigene Strategie mitaufzunehmen. Und dieses Gemeinwohl entwickelt sich in einer Demokratie im Diskurs, in Abstimmungen, Wahlen und Entscheidungen.

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Eckart von Klaeden: Politisches Engagement von Unternehmen ist ein wichtiger Bestandteil der Demokratie. Wenn wir die Interessen unseres Unternehmens in den politischen Prozess einbringen, bedeutet das auch, dass wir unsere Expertise zur Verfügung stellen – beispielsweise indem wir Regulierungsvorhaben in technische, ökonomische, ökologische und soziale Zusammenhänge stellen und aus unserer Sicht einordnen. So machen wir unseren Gesprächspartnern gegenüber deutlich, was eine politische Entscheidung, die auf den ersten Blick abstrakt erscheint, für unsere Industrie, ein Produkt, einen Standort und die Beschäftigten konkret bedeuten kann.

Unsere Erfahrung zeigt: Frühzeitige Informationen helfen der Politik, fundierte Entscheidungen zu treffen. Dabei müssen sie Argumente, Interessen und Konsequenzen von verschiedenen Perspektiven berücksichtigen und gegeneinander abwägen.

Außer Frage steht für uns, dass transparent sein muss, wie diese Entscheidungen zustande kommen und welche Akteure daran beteiligt waren. Für diese Transparenz gibt es inzwischen klar definierte Regeln und Pflichten. Daher halte ich das Lobbyregistergesetz in Deutschland und das Transparenzregister der Europäischen Union für so wichtig.

Unsere Positionen zu bedeutenden strategischen Themen, die unser Unternehmen betreffen, veröffentlichen wir übrigens auch auf unserer Unternehmenswebsite. So ist für jeden ersichtlich, welche Argumente Mercedes-Benz in den politischen Prozess einbringt.

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Eckart von Klaeden: Teilhabe und Partizipation sind in einer demokratischen Gesellschaft zurecht ein hohes Gut. Alle Mitglieder einer Gesellschaft haben das Recht, ihre Interessen einzubringen, und sollten das auch tun. Nur so entsteht ein kritischer und ausgewogener Diskurs. Dabei gelten für Unternehmen aber besondere Regeln, zu denen wir uns ausdrücklich bekennen.

Eine Grenze wird immer dann überschritten, wenn in der politischen Argumentation statt fundierter Fakten falsche oder tendenziöse Informationen gestreut werden. Unternehmen müssen ehrliche Ratgeber sein und sich als Teil der Lösung verstehen. Das ist jedenfalls der klare Anspruch von Mercedes-Benz.

Als Leitplanke für unsere Arbeit stelle ich meinem Team und auch mir immer wieder die Frage: Würden wir uns wohl fühlen, wenn eine Zeitung auf der Titelseite über unser Vorgehen in einem konkreten Fall berichten würde? Das müssen wir klar mit “Ja” beantworten können. Das Bild des Lobbyisten in Hinterzimmer gehört der Vergangenheit an. Schlüssel für Vertrauen sind Offenheit, Transparenz und Integrität.

Wir wollen uns nicht nur politisch, sondern auch schon im vorpolitischen Raum vernetzen und Einblicke in unser Unternehmen bieten, die es Amtsträgern ermöglichen, die Wirkungen von Entscheidungen besser einzuschätzen. Gleichzeitig ist klar: Unternehmen haben kein Mandat, um über gesamtgesellschaftliche Belange zu bestimmen. Die Entscheidung als solche liegt deshalb bei den Personen und Institutionen, die dafür demokratisch legitimiert sind. Und das muss auch gelebter Grundsatz für die Grenzen des politischen Engagements von Unternehmen sein.

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Eckart von Klaeden: Bei Mercedes-Benz ist die weltweite Vertretung der Unternehmensinteressen im Bereich External Affairs gebündelt, den ich leiten darf. Mein Team und ich unterstützen das Unternehmen beim Erreichen seiner Ziele, indem wir den Dialog mit politischen Stakeholdern in Schlüsselmärkten aufbauen und pflegen. Außerdem analysieren wir kontinuierlich Entwicklungen, die den Erfolg unseres Unternehmens potenziell beeinflussen.

Dabei arbeiten wir eng mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den entsprechenden Fachbereichen zusammen, zum Beispiel aus der Forschung und Entwicklung. Durch die Expertise der Fachbereiche können wir im Dialog mit der Politik ein zuverlässiger und kompetenter Gesprächspartner und – das Stichwort fiel schon einmal – ehrlicher Berater sein.

Dieser Prozess ist übrigens keine Einbahnstraße: Denn so wie wir unsere Interessen an die Politik herantragen, bringen wir andersherum auch die Anliegen der Politik in unser Unternehmen. Damit stellen wir sicher, dass Mercedes-Benz gesellschaftliche Belange optimal mit der Unternehmensstrategie verzahnen kann.

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Eckart von Klaeden: Das politische Engagement von Mercedes-Benz ist sehr vielseitig und erstreckt sich über verschiedene Bereiche. Wir sehen in der Vertretung unserer Interessen grundsätzlich eine Chance. Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen, die für unser Unternehmen besonders wichtig sind:

Mercedes-Benz bekennt sich klar zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Wir sind auf dem Weg, bis Ende des Jahrzehnts überall dort vollelektrisch zu werden, wo es die Marktbedingungen zulassen. Dabei sind wir auch auf die Politik angewiesen, damit die Voraussetzungen geschaffen werden, dieses Ziel zu erreichen – beispielsweise durch schnellere Genehmigungen für Ladestationen, um so den Ausbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur zu beschleunigen. Unsere Kundinnen und Kunden können nur dann bequem elektrisch fahren, wenn es ein attraktives Ökosystem dafür gibt.

Die Politik kann weitere Maßnahmen ergreifen, um die Elektromobilität und damit die Dekarbonisierung des Verkehrssektors zu fördern. Aktuelles Beispiel sind die kürzlich von der EU-Kommission vorgestellten Initiativen – der Net Zero Industry Act, der eine finanzielle Förderung von Zukunftstechnologien vorsieht, sowie der Critical Raw Materials Act, also eine Strategie, wie die EU in Zukunft den Rohstoffbedarf decken will. Auch bei solchen Gesetzen ist es wichtig, dass wir als Unternehmen unsere Expertise und unsere Interessen einbringen, um die ambitionierten Nachhaltigkeitsziele gemeinsam erreichen zu können. Das tun wir insbesondere auch über unsere Verbandsarbeit.

Neben dem Aspekt der ökologischen Nachhaltigkeit ist uns auch soziales Engagement sehr wichtig. So setzen wir uns beispielsweise dafür ein, die Erinnerungskultur in Deutschland zu fördern. Gemeinsam mit anderen deutschen Unternehmen haben wir uns mit dem Freundeskreis Yad Vashem zusammengeschlossen und 2021 eine gemeinsame Erklärung gegen Antisemitismus und Rassismus veröffentlicht.

Mercedes-Benz ist darüber hinaus Gründungsmitglied und Erstunterzeichner der Initiative Charta der Vielfalt. Die von der Bundesregierung unterstützte Initiative verfolgt das Ziel, Vielfalt als zentralen Faktor in der Arbeitswelt in Deutschland zu etablieren und wertzuschätzen.

Diese Beispiele zeigen, wie wichtig politisches Engagement von Unternehmen ist. Insbesondere die großen Herausforderungen unserer Zeit können wir als Unternehmen nur gemeinsam mit der Politik angehen. Das ist unsere Chance, aber auch gleichzeitig unsere Verantwortung.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Eckart von Klaeden

Eckart von Klaeden, geboren am 18. November 1965 in Hannover, ist Rechtsanwalt und war von 1994 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Ab 2009 war er Staatsminister bei der Bundeskanzlerin.

Am 1. November 2013 wechselte Eckart von Klaeden zur Daimler AG – jetzt Mercedes-Benz Group AG. Als Leiter des Bereichs External Affairs ist er verantwortlich für die Außenbeziehungen und den politischen Dialog der Mercedes-Benz Group AG weltweit. Eckart von Klaeden berichtet direkt an den Vorsitzenden des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG, Ola Källenius..

 

 

 

 

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