Persönliche Vorbemerkung

Als Wissenschaftler vertrete ich aus tiefer Überzeugung die Auffassung, dass man sich öffentlich nur zu solchen Dingen äußern sollte, von denen man wirklich etwas versteht. Nun bin ich kein Militärexperte. Auch bin ich kein Experte für Außen- und Sicherheitspolitik. Schon gar nicht verfüge ich über geheimdienstliche Erkenntnisse oder vertrauliche Insiderinformationen. Ich gehöre nicht zu – und verkehre nicht mit – den exklusiven Kreisen derer, die militärische oder politische Entscheidungen treffen. In dieser Hinsicht bin ich also – wie die meisten anderen Bürger auch – ein Outsider: nicht ein aktiv Beteiligter, sondern ein passiv Betroffener, d.h. eine Privatperson, die sich angesichts des Ukraine-Krieges Gedanken (und Sorgen!) macht.

Meine Informationsquellen sind öffentlich zugänglich – von der Berichterstattung in den traditionellen Mainstream-Medien von Presse, Funk und Fernsehen sowie diversen Social-Media-Kanälen über offizielle Regierungsdokumente bis hin zur allgemein sozialwissenschaftlichen und insbesondere gesellschaftstheoretischen Literatur über Konflikte und institutionelle Konfliktlösungen, deren intensivem Studium ich viele Jahre meines Lebens gewidmet habe.[1] Die Expertise, über die ich als Ökonom und Wirtschaftsethiker verfüge, bezieht sich vor allem auf das ordonomische Forschungsprogramm, an dem ich seit über 30 Jahren arbeite.[2] In diesem Forschungsprogramm spielt die Analyse von Diskursen eine große Rolle. Deshalb möchte ich die folgende Stellungnahme genau so, wie es der Titel dieses Aufsatzes ausweist, nicht als eine Stellungnahme zum Ukraine- Krieg, sondern als eine Stellungnahme zum Diskurs über den Ukraine-Krieg verstanden wissen.[3] Meine These lautet, dass es mit diesem Diskurs eine besondere Bewandtnis hat: dass hier aufgrund einer moralisierenden Engführung besondere Probleme auftreten, für die ich – im Rahmen der Möglichkeiten und Grenzen meiner Expertise – eine Diagnose sowie eine darauf abgestimmte Therapie vorschlage.

Ich gehe nun in fünf Schritten vor. Zunächst benenne ich das Problem (I.). Dann erkläre ich sein Zustandekommen (II.). Anschließend identifiziere (III.) und analysiere (IV.) ich das westliche Mainstream-Narrativ des Ukraine-Diskurses. Darauf aufbauend unterbreite ich einen Therapievorschlag (V.). Er zielt darauf ab, die Chancen auf wechselseitige Verständigung im Diskurs zu erhöhen. Dass sich damit die Hoffnung verbindet, ein diesen Krieg klug befriedendes Konflikt-Management wahrscheinlicher zu machen, versteht sich von selbst.

 

I. Kriegspropaganda

((1)) Im Jahr 1928 veröffentlicht Arthur Ponsonby, ein pazifistischer Politiker, der es in Großbritannien ins Parlament, in die Regierung und schließlich als Lord ins Oberhaus geschafft hat, seine zum Klassiker avancierte Studie über die Kriegslügen während des Ersten Weltkriegs.[4] Er listet dort 20 Aspekte der Kriegspropaganda auf.

Diese Liste wird 2001 von der belgischen Historikerin Anne Morelli zu zehn Prinzipien der Kriegspropaganda verdichtet, die den zehn Kapiteln ihres Buches jeweils als Überschrift dienen.[5] Sie lauten:

  1. Wir wollen keinen Krieg
  2. Das feindliche Lager trägt die alleinige Schuld am Krieg
  3. Der Feind hat dämonische Züge
  4. Wir kämpfen für eine gute Sache und nicht für eigennützige Ziele
  5. Der Feind begeht mit Absicht Grausamkeiten. Wenn uns Fehler unterlaufen, dann nur ver- sehentlich
  6. Der Feind verwendet unerlaubte Waffen
  7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners aber enorm
  8. Unsere Sache wird von Künstlern und Intellektuellen unterstützt
  9. Unsere Mission ist heilig
  10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter

Wer diese Liste durchgeht, wird leicht Wiedererkennungseffekte registrieren, sobald man die einzelnen Punkte mit dem aktuellen Diskurs zum Ukraine-Krieg abgleicht: déjà-vu, déjà-lu, déjà-entendu! Das mag manchen vielleicht überraschen oder sogar erstaunen. Aber das Staunen ist ja bekanntlich der Anfang aller Philosophie – weil es zum Nachdenken anregt.

((2)) Dass man Züge von “Kriegspropaganda” in deutschen Medien findet, lässt sich durchaus unterschiedlich interpretieren. Manche mögen sich in ihren verschwörungstheoretischen Vorbehalten bestätigt sehen, dass eine zur “Lügenpresse” verkommene Berichterstattung uns ganz bewusst und gezielt zu manipulieren versucht. Andere hingegen werden eher einen enormen Konformitätsdruck am Werk sehen, der dazu führt, dass selbst ein pluralistisch verfasster Mediensektor das Spektrum zulässiger Meinungen extrem verengt.

Aus ordonomischer Sicht ist wichtig, dass die Dominanz der kriegspropagandistischen Sichtweise keineswegs intendiert – oder gar angeordnet – zustande kommen muss, sondern dass sie sich vielmehr auch als die nicht-intendierte Folge intentionalen Handelns einstellen kann. Das Phänomen lässt sich also erklären, ohne dass man dafür böse Absichten zu unterstellen hat. Der folgende Abschnitt zeigt, wie das geht.

 

II. Im Nebel des Krieges

((1)) Folgt man dem klassischen Clausewitz-Diktum, dann findet jeder Krieg im Nebel statt. „Nebel“ steht hier als Metapher für strategische Unsicherheit.[6] Sie resultiert daraus, dass im konkreten Augenblick niemand über alle relevanten Information verfügt, so dass (positive, aber insbesondere auch negative) Überraschungen unausweichlich vorprogrammiert sind. Das Diktum vom Nebel des Krieges mahnt insofern zur kognitiven Demut: zur intellektuellen Bescheidenheit, sich der Fallibilität des Urteilens stets bewusst zu bleiben. Im Krieg gilt noch weitaus stärker das, was schon im zivilen Alltag gilt: Individuelle oder gar kollektive Selbstgewissheit ist kein verlässlicher Wahrheitsindikator.

Gemessen an historischen Vorläufern weist der Ukraine-Krieg einen besonders dichten Nebel auf. Das liegt daran, wie darüber berichtet wird.

Neu ist nicht, dass die kriegführenden Parteien – das angreifende Russland ebenso wie die sich verteidigende Ukraine – Kriegspropaganda betreiben, also (Des-)Information als Waffe einsetzen. Das auf beiden Seiten übliche Muster besteht darin, Misserfolge und Fehlverhalten des Gegners zu übertreiben, während man eigene Misserfolge oder eigenes Fehlverhalten am liebsten verschweigt oder untertreibt oder gar aktiv leugnet. Neu ist hingegen, wie der Westen den Krieg in der Ukraine als parteiischer Beobachter medial verarbeitet.

Auf der einen Seite beziehen die Traditionsmedien (Print, Radio, Fernsehen) die von ihnen verbreiteten Informationen zu einem beträchtlichen Teil direkt von ukrainischen Regierungsstellen. Hier spielen die täglichen Ansprachen von Präsident Selenskyj eine wichtige Rolle. Weitere Hauptquellen der Berichterstattung sind Briefings westlicher Geheimdienste sowie die Einschätzungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen bzw. Privatpersonen, die – als “Experten” – eng mit dem Komplex staatlicher Außen- und Sicherheitspolitik verbandelt sind. So entsteht eine offiziöse Mainstream-Berichterstattung, die trotz eines pluralistisch verfassten Mediensystems eine bemerkenswerte Konformität aufweist und gerade dadurch (ob gewollt oder ungewollt) Konformitätsdruck aufbaut. So kommt es zur Dominanz einer orthodoxen Sichtweise, die für heterodoxe Perspektivierungen wenig Raum lässt.

Auf der anderen Seite ist die journalistische Frontberichterstattung, die den jeweiligen Ort des Geschehens eigenständig in Augenschein nimmt, weitestgehend in die sozialen Medien abgewandert. Sie wird dort von oft zweifelhaften Akteuren betrieben, deren finanzielle Unabhängigkeit (und Unparteilichkeit) kritische Fragen aufkommen lässt, zumal auch zahlreiche staatliche oder staatsnahe Akteure in diesem Metier aktiv mitmischen. Hier hat man es mit einer Kakophonie des (offen oder verdeckt) engagierten Journalismus zu tun. Internetforen und Videokanäle (mit z.T. gezielt manipulierten Beiträgen) speisen eine Informationsflut, die von institutionellen Gatekeepern schon längst nicht mehr kanalisiert werden kann. Auf diese Weise kommt dort jede Sichtweise nahezu ungefiltert zu Wort. Hier steht das Overton-Fenster sperrangelweit offen. Dies hat Vor- und Nachteile. Das Spektrum der hier veröffentlichten Meinungen reicht von seriöser Heterodoxie bis hin zur Kolportage wilder Gerüchte, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien. So ist für jeden etwas dabei – das perfekte Feld, um einen etwaigen Hang zum “confirmation bias” exzessiv auszuleben; aber auch zahlreiches Material, das zu denken gibt und geeignet ist, die orthodoxen Narrative in Frage zu stellen.

Eine weitere Besonderheit, die vor allem im Bereich der Traditionsmedien nachweisbar ist, betrifft die Moralisierung des Krieges. Da der Westen nicht unmittelbar Kriegspartei sein will, aber doch eindeutig die Ukraine unterstützt, wird die Position eines parteiischen Beobachters eingenommen, der für sich selbst keine existenziellen Risiken zu befürchten hat. Durch diese Positionierung wird der Scheinwerfer strategischer Klugheitserwägungen stark heruntergedimmt, während der Scheinwerfer einer moralischen Parteinahme einen grellen Lichtkegel auf den Konflikt wirft. So kommt es zu einem ungewöhnlich starken Ungleichgewicht zwischen kognitiver und emotionaler Empathie. Es dominiert die Wahrnehmung, nicht von einer wechselseitigen Verursachung des Konflikts und nicht von einer schrittweise wechselseitigen Eskalation bis hin zum Beginn von Kriegshandlungen auszugehen, sondern stattdessen einseitig Russland als Täter und die Ukraine als Opfer aufzufassen. Auf diese Weise wird das Freund-Feind-Schema moralisch aufgeladen und eng an das Schema von Gut versus Böse gekoppelt. Typisch hierfür sind die in westlichen Medien zum Stereotyp gewordenen Formulierungen, “Putin‘s War” sei “unprovoked”, “unjustified” und “unforgiveable”. Auch die in den Medien generell – nicht nur in den einschlägigen Talkshows – zu beobachtende Unduldsamkeit gegenüber abweichenden Meinungen ist ein Begleitphänomen der Moralisierung. Sie hat zur Folge, dass das Overton-Fenster der Mainstream-Medien in mancher Hinsicht nur noch einen Spaltbreit geöffnet ist.

Vor diesem Hintergrund will ich versuchen, den Nebel etwas zu lichten. Gestützt auf das Forschungsprogramm der Ordonomik beziehen sich meine (Auf-)Klärungsbemühungen freilich nicht primär auf den Nebel des Krieges, sondern auf den Nebel des Kriegsdiskurses. Im nächsten Schritt geht es darum, das den westlichen Diskurs dominierende Mainstream-Narrativ zu identifizieren.

 

III. Das dominante Mainstream-Narrativ

Marie-Agnes Strack-Zimmermann sitzt für die FDP im Bundestag. Sie ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. In dieser Funktion gab sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ein Interview, das am 27.12.2022 online gestellt wurde.[7] Dieses Interview ist in mehrerlei Hinsicht lesens- und bedenkenswert.

Zum einen kritisiert Strack-Zimmermann Bundeskanzler Scholz und seine Berater für die Zögerlichkeit bei deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine – in einer Tonlage, die man eher von der politischen Opposition erwarten würde, nicht jedoch von einem Mitglied der Regierungsfraktion. Hierzu liest man:

“Es sind die Berater von Herrn Scholz, die dem Kanzler offensichtlich unbeirrbar die Blockade von Kampf – und Schützenpanzern an die Ukraine nahelegen. Am Ende aber trägt der Kanzler der Bundesrepublik die Verantwortung. Ich halte diese Verweigerung für einen ganz großen Fehler. Mich macht es wütend, wenn ich auf die vergangenen Monate blicke und sehe, was für absurde Diskussionen wir geführt haben. Wie viel Zeit ist ins Land gegangen, in der wir schon hätten helfen können. Diese Berater sind immer hinter der Welle, denken überhaupt nicht strategisch. … Wir haben … keine Strategie. Das ist das Problem.”

Zum anderen ist dieses Interview lesens- und bedenkenswert, weil es auf exemplarische Weise das die öffentliche Diskussion dominierende Mainstream-Narrativ zum Ausdruck bringt. Analytisch betrachtet, besteht dieses Narrativ aus fünf zusammenhängenden Kernaussagen. Sie lauten:

  1. Putin führt einen unprovozierten Eroberungskrieg.
  2. Die Ukraine kann diesen Krieg gewinnen, wenn wir im Westen sie stark genug unterstützen.
  3. Russland muss durch eine militärische Niederlage zum Frieden gezwungen werden. Deshalb wären vorzeitige Verhandlungen aus Sicht der Ukraine (und des Westens) kontraproduktiv.
  4. Es liegt im westlichen Interesse präventiver Notwehr, Russland militärisch und wirtschaftlich auf Dauer zu schwächen und als Paria-Staat zu behandeln.
  5. Die Ukraine hat sich eine westliche Anbindung verdient. Sie sollte Mitglied der NATO (und der EU) werden.

 

Im Interview mit Strack-Zimmermann findet man Aussagen zu allen fünf Punkten:

  1. Über Russlands Präsident Putin sagt sie: “Seine imperialistischen Großmachtansprüche hat er mehr als deutlich artikuliert. Dazu gehört, die ganze Ukraine Stück für Stück zu erobern und es seinem russischen Reich einzuverleiben. Putin macht auch keinen Hehl daraus, dass seine Vorstellungen entsprechend über die Ukraine hinausgehen. Damit droht er auch all seinen Nachbarstaaten.”
  2. “Ich bin die Ausreden, warum wir keine Panzer liefern können, so was von leid. Vor allem, wenn ich höre, dass Panzerlieferungen eine besondere Provokation Russland gegenüber bedeuten würden. Wir lieferten bereits erfolgreich, um Tausende Menschenleben zu retten, Panzerhaubitzen, Flugabwehrkanonenpanzer, Artilleriesysteme und hochwirksame Flugabwehrsysteme. Jetzt Panzer zu liefern wäre eine wichtige Ergänzung, um russische Stellungen zurückzudrängen.” “Wer von der Sorge fabuliert, es würde damit eine rote Linie gegenüber Russland überschritten, der erzählt die Geschichte des Aggressors, nicht die der Opfer.”
  3. “Der Krieg ist sofort zu Ende, wenn Russland seine Truppen abzieht und die Integrität der ukrainischen Grenzen wiederherstellt. Wenn die Ukraine allerdings vorher aufhört, sich zu verteidigen, wird ihr Land von der Landkarte verschwinden. Die Ukraine hat eine hohe Kampfmoral und leistet erbitterten Widerstand. Russland spielt auf Zeit und würde Verhandlungen nur dazu nutzen, um die Armee zu regenerieren, um anschließend neue Angriffe zu starten. Es gibt kein Vertrauen mehr zu Russland. Letztendlich allerdings wird allein die Ukraine entscheiden, wie es weitergeht.”
  4. “Dieser Krieg geht uns etwas an. Wegschauen, in Deckung gehen ist nicht das Gebot der Stunde. Das Gebot der Stunde ist, Russlands Angriff auf unsere Werte, auf unser Leben, auf unser System sehr ernst zu nehmen und entsprechend abzuwehren. Deswegen ist das nicht ein Krieg irgendwo im Nachbarland, sondern er betrifft uns unmittelbar. Und wenn wir in Zukunft weiterhin in Freiheit und Frieden leben wollen, ja, dann kostet das auch am langen Ende Geld.” “Dieses Russland hat sich aus der Gemeinschaft der humanitären Staaten verabschiedet. Wladimir Putin ist ein Kriegsverbrecher, ein Terrorist, ein Massenmörder. Große Teile des russischen Volkes befürworten den Kurs Putins und den Krieg gegen das Nachbarland. Die vielen russischen Soldaten, die täglich morden, brandschatzen, foltern und vergewaltigen, sind ebenso verantwortlich für diesen Krieg. Ein unbelastetes normales Verhältnis zu Russland wird es jahrzehntelang nicht geben. Das politische System in Russland ist vollständig verkommen und müsste völlig verändert werden. Es wird daher die Aufgabe der nachfolgenden Generationen sein, sofern Russland sich verändert, miteinander wieder einigermaßen ins Gespräch zu finden.”
  5. “Die Ukraine braucht über diesen Krieg hinaus seitens der Nato Sicherheitsgarantien. Wir sichern der Ukraine zu, auch nach einem Friedensschluss weiter an ihrer Seite zu stehen. Und am langen Ende, sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind, Mitglied der Nato zu werden.” “Die Ukraine muss nach dem Krieg auch wirtschaftlich so gestärkt werden, dass sie selbst wieder in der Lage ist, Abwehrwaffen herzustellen und Russland es nicht erneut wagt, die Ukraine anzugreifen.”

 

IV. Ordonomische Diskurs-Analyse

((1)) Beim ersten Punkt des Narrativs geht es strenggenommen um eine (positive) Erklärung des Krieges, die dann oft vermengt wird mit einer (normativen) Bewertung aus moralischer Sicht. Das liegt daran, dass der Krieg im Diskurs primär als das Ergebnis einer Aktion aufgefasst wird, was dann natürlich nahelegt, dem angreifenden Akteur die Kriegsschuld zuzuweisen. Die in diesem Kontext typische Sichtweise kulminiert in der Formulierung, beim militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine handele es sich um “Putins Krieg”.

Aus ordonomischer Sicht ist nun zu fragen, ob auch andere Sichtweisen möglich sind. Geht man dieser Frage genauer nach, lassen sich zwei alternative Positionen unterscheiden.

Die erste Alternativposition bleibt dem Aktionsparadigma verhaftet und dreht lediglich die Schuldzuweisung um. Aus dieser Sicht trägt nicht das friedfertige Russland, sondern geradewegs umgekehrt der hegemonial ausgreifende Westen die primäre Kriegsschuld, weil er die Ukraine dazu ermutigt hat, russische Kriegshandlungen zu provozieren. Beispielsweise lässt sich eine 2019 erschienene Publikation der RAND Corporation so interpretieren, als liefere sie der US-amerikanischen Außenpolitik das Drehbuch, den Ukraine-Konflikt mutwillig zu verschärfen, um Russland gezielt und dauerhaft zu schwächen.[8] Vor diesem Hintergrund kann man die Meinung vertreten, es handle sich um ein funktionales Äquivalent für die Emser Depesche, mit der Bismarck 1870 den Deutsch- Französischen Krieg vom Zaun gebrochen hat, dass die USA die im Jahr 2021 wiederholt unterbreiteten Verhandlungsangebote Russlands negativ beschieden und mit schriftlichen Erklärungen, an einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine festzuhalten, mutwillig Öl ins Feuer gegossen hat.[9]

Ganz anders argumentiert die zweite Alternativposition. Sie wechselt vom Aktions- zum Interaktions-Paradigma und geht davon aus, dass der Ukraine-Krieg das Ergebnis einer wechselseitigen Verursachung ist. In diesem Paradigma ist es vorstellbar, dass der Krieg nicht notwendigerweise bewusst und gezielt angestrebt wurde, sondern durch die Aufschaukelung gegenseitiger Missverständnisse und Enttäuschungen zustande gekommen sein kann. Anstatt der einen oder der anderen Seite eine moralische Kriegs-“Schuld” zuzuweisen, wird bei diesem Erklärungsmuster primär darauf geachtet, rein positiv zu analysieren, wie die beteiligten Akteure – Russland, die Ukraine und ihre westlichen Unterstützerstaaten – in diese Situation einer kollektiven Selbstschädigung geraten konnten. Hier spielt eine Rolle, dass der Westen das von Russland reklamierte Sicherheitsinteresse nicht wirklich ernst genommen und stattdessen eine Politik betrieben hat, die das Freiheitsrecht souveräner Staaten und ihre aus freiem Willen erfolgte Bitte um Aufnahme prinzipienbasiert anerkennt, während Russland die NATO-Osterweiterung(en) von vornherein als Verrat und im Fall der Ukraine sogar als existenzielle Bedrohung wahrgenommen hat.[10]

((2)) Beim zweiten Punkt des Narrativs geht es nicht darum, welches Kriegsergebnis man für wünschenswert, sondern welches man für wahrscheinlich hält. Dies ist eine rein positive Frage, deren Beantwortung wahrheitsfähig ist, sich also als richtig oder falsch erweisen wird.
Im Diskurs sind zwei Extrempositionen zu beobachten, zwischen denen zahlreiche Abstufungen möglich sind.

Zur ersten Extremposition: Ein typischer Vertreter des orthodoxen Mainstream-Narrativs ist der ehemalige US-General Ben Hodges. Ende Dezember 2022 bekräftigt er seine seit langem vertreten Auffassung, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland im Laufe des Jahres 2023 gewinnen und zusätzlich zu den derzeit russisch besetzten Ostgebieten auch die Krim militärisch zurückerobern wird.[11]

Unter hochrangigen Ex-Militärs gibt es aber auch andere Stimmen. Zwei Vertreter der heterodoxen Minderheitsmeinung sind die ehemaligen Generäle Vad und Kujat. Sie vertreten die genau entgegengesetzte Extremposition und gehen davon aus, dass die Ukraine diesen Krieg unweigerlich verlieren wird, weil Russland hinsichtlich der verfügbaren Zahl an Soldaten, Waffen und Munition am längeren Hebel sitzt.[12]

Man sieht: Die Militär-Experten sind sich nicht einig. Die Ursache dafür ist der Nebel des Krieges, um es mit jener Metapher zu sagen, mit der Clausewitz die Experten – und erst recht die Möchtegern-Experten – zu kognitiver Demut anhalten wollte, übrigens ganz analog zu F.A. von Hayek und seiner Warnung vor einer Anmaßung des Wissens. Von daher verbietet es sich hier, darüber zu spekulieren, welcher der Experten denn wohl richtig liegt. Aber eine solche Spekulation erübrigt sich auch. Denn hier kommt es allein auf die Beobachtung an, dass die nächsten drei Punkte des Mainstream-Narrativs denknotwendig voraussetzen, dass die Ukraine den Krieg gewinnt – und dass das gesamte Rest-Narrativ seine Plausibilität und innere Konsistenz vollständig verliert, wenn man stattdessen davon ausgeht, dass die Ukraine den Krieg verliert.

((3)) Unterstellt man, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen kann, wenn der Westen sie nur energisch genug unterstützt, dann erscheint jede Verzögerung oder gar Verweigerung angeforderter Hilfsleistungen als leichtfertige Inkaufnahme eines mutwilligen Scheiterns oder gar als Verrat an den gemeinsamen Zielen des Westens.

Aus einer solchen Perspektive ist es dann nur folgerichtig,

  • vorzeitige Verhandlungen als kontraproduktiv abzulehnen und
  • Russland als Vorbedingung für mit Erfolgsaussichten stattfindende Friedensverhandlungen militärisch und wirtschaftlich in die Knie zu zwingen,
  • um die angestrebte Westbindung der Ukraine gegen Russlands Willen durchzusetzen.

Nimmt man diesen Blickwinkel ein, ist es ferner nur folgerichtig, eine etwaige Gegenposition entweder als Sabotage wahrzunehmen oder aber als Naivität, der russischen Kriegspropaganda wider Willen auf den Leim gegangen zu sein.[13]

((4)) Unterstellt man hingegen umgekehrt, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland auch beim besten Willen nicht (mehr) gewinnen kann, dann erscheinen all diese Sachverhalte in einem völlig anderen Licht. Aus dieser Gegenperspektive ist es folgerichtig,

  • auf möglichst frühzeitige Verhandlungen zu drängen und
  • Russland wirtschaftliche Kooperation (wieder) in Aussicht zu stellen,
  • um zugunsten der Ukraine russische Kompromissbereitschaft zu erzeugen.

Nimmt man diesen Blickwinkel ein, ist es ferner nur folgerichtig, die Gegenposition der Mainstream-Medien als unverantwortliche Kriegstreiberei wahrzunehmen, die sich aus moralischem Wunschdenken speist sowie aus einer westlichen Selbstüberschätzung und Realitätsverweigerung, die letzten Endes auf eine kollektive Autosuggestion schließen lässt.

Vor allem aber ist abzusehen, dass auf die erwartbaren militärischen Schwierigkeiten der Ukraine von westlicher Seite mit unbelehrbarer Rechthaberei regiert werden wird, also mit einer Eskalation, die Kampfpanzer, bald danach Kampfjets sowie Mittelstreckenraketen und in nicht allzuferner Zukunft sogar jene NATO-Bodentruppen in die Ukraine schicken wird, die im internationalen und mittlerweile sogar auch im deutschen Diskurs von Sicherheitsexperten bereits seit geraumer Zeit eingefordert werden, um mit aller Macht durchzusetzen, dass die Ukraine diesen Krieg gegen Russland gewinnt.[14]

 

V. Von der Diagnose zur Therapie

((1)) Lässt man sich auf diese ordonomische Rekonstruktion ein, dann ist leicht nachvollziehbar, warum sich diese beiden Lager – die Vertreter einer in den Mainstream-Medien dominierenden Mehrheitsposition einerseits sowie die Vertreter einer in der Öffentlichkeit marginalisierten Minderheitsposition andererseits – recht verständnislos und unversöhnlich gegenüberstehen, so dass es als gerechtfertigt erscheint, den Status quo der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in Deutschland als eine Diskursblockade zu kennzeichnen.

((2)) Die Ordonomik hilft aber nicht nur bei der Diagnose, sondern auch bei der Therapie. Der Schlüssel zum Aufbrechen der Diskursblockade liegt nämlich in der Erkenntnis, dass der eigentliche Streitpunkt nicht normativer, sondern rein positiver Natur ist. Es geht um die Faktenfrage, wer den Krieg gewinnen wird. Dies ist der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Auseinandersetzung – und nicht etwa die durchaus irreführende Frage, wer die größeren Antipathien für Putins Russland oder wer die größeren Sympathien für die leidenden Ukrainer oder wer die stärkere Loyalität für das westliche Zivilisationsmodell vorzuweisen vermag.

Wenn die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann, dann ist es klug und moralisch gerechtfertigt, sie nach Möglichkeit forciert zu unterstützen. Aber wenn die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann, dann ist es eben unklug und moralisch nicht gerechtfertigt, den Krieg unnötig in die Länge zu ziehen – aus Sicht des Westens, vor allem aber auch aus Sicht der Ukraine selbst, genauer: aus Sicht der ukrainischen Bevölkerung.

((3)) Eine nachhaltig tragfähige Sicherheitsarchitektur für Europa wird es nicht ohne, schon gar nicht gegen, sondern allenfalls mit Russland geben. Das erfordert einen Interessenausgleich, der sich langfristig an transparenten und konsentierten Prinzipien orientiert. Wie es aussieht, entfernen wir uns gegenwärtig immer weiter von einer solchen Friedenslösung, anstatt uns ihr anzunähern.

Vor diesem Hintergrund wäre es ratsam, dass die beiden Lager in Deutschland, die sich gegenwärtig, wie es scheint, mit zunehmender Unduldsamkeit gegenüberstehen, rhetorisch abrüsten würden, um intellektuell aufzurüsten: weniger Polemik, mehr Substanz; weniger Emotionen, mehr Sachverstand. Die Auseinandersetzung sollte sich nicht auf Personen(eigenschaften), sondern auf Argumente konzentrieren. Wechselseitige Verunglimpfung hilft uns nicht weiter, zumal man in einer Sachdebatte einen gelegentlichen Beifall von der falschen Seite nicht scheuen darf. Um nur ein Beispiel zu geben: Der Vorwurf, ein “Putinist” zu sein, ist ebenso wie der analoge, nur eben diametral entgegengesetzte Vorwurf, “amerikahörig” zu sein, ein sachfremder Einwand, wenn es darum geht, eine tragfähige Friedensordnung anzuregen, weil es hier nicht um vermutete (und oft nur imaginierte) Motive geht, sondern um realweltliche Konsequenzen.

Einer Demokratie ist es nicht zuträglich, wenn sich die Teilnehmer an einer so wichtigen politischen Diskussion entzweien, anstatt darum zu ringen, wer die beste Lösung für das uns allen gemeinsame Problem hat. Deshalb sollten wir darauf drängen, dass niemand damit durchkommt, der anderen Seite die Intelligenz oder die Integrität abzusprechen und mithin auf Ausgrenzung, also auf die Strategie einer Diskursverweigerung zu setzen. Ansonsten enden wir in einer Situation kollektiver Selbstschädigung.

Man kann es auch so ausdrücken: Wir müssen uns stärker bewusst machen, dass die Demokratie nicht nur eine juristische, sondern eben auch eine epistemische Verfassung benötigt und dass eine moderne Gesellschaft zum Blindflug verurteilt ist, wenn der Streit der Experten nicht in einer freien Öffentlichkeit ausgetragen werden kann. Wir müssen das Overton-Fenster weit öffnen, anstatt den Nebel des Krieges mutwillig noch weiter zu verdichten.

 

Zusammenfassung und Ausblick

Gestützt auf den ordonomischen Ansatz geht dieser Aufsatz fünf Fragen nach: 1. Was ist Kriegspropaganda? 2. Warum ist sie erfolgreich? 3. Wie schlägt sie sich im aktuellen Diskurs zum Ukraine-Konflikt als Mainstream-Narrativ nieder? 4. Wie ist dieses Mainstream-Narrativ strukturiert? 5. Wie kann die Diskursblockade zwischen Mehrheits- und Minderheitsmeinung aufgebrochen werden?

Die Beantwortung dieser Fragen ist wichtig, weil sie ein großes Hindernis identifiziert, das den Weg zur Konsilienz der Expertisen versperrt und unbedingt aus dem Weg geräumt werden muss, wenn die demokratische Öffentlichkeit zum sachlichen Diskurs und damit auch zur verständigen Orientierung westlicher Gesellschaften zurückfinden soll. Ohne eine solche Konsilienz werden sich zahlreiche gravierende Herausforderungen nicht bewältigen lassen. Dies betrifft unter anderem die folgenden Probleme:

  • Unser Planet benötigt eine kluge Weltinnenpolitik, ein Regime globaler Governance. Um nur einen Aspekt zu nennen: Wie will man sich eine wirksame Klimapolitik vorstellen, ohne China, Indien und Russland zukünftig konstruktiv einzubinden?
  • Der geopolitische Konflikt zwischen den USA und China muss im Hinblick auf die Grenzen und Möglichkeiten globaler Governance durchdacht werden. Dies betrifft insbesondere die Frage, wie sich Deutschland und Europa in diesem Konflikt positionieren wollen – und wie man sich die Zukunft der Globalisierung vorstellt, die in den letzten 30 Jahren gerade für die Ärmsten der Armen zahlreiche segensreiche Wirkungen entfaltet hat.
  • Der Konflikt zwischen Russland einerseits und der Ukraine sowie den westlichen Unterstützerstaaten andererseits kann also nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss in diesen größeren Rahmen einer umfassenden Strategie eingeordnet werden.
  • Innerhalb der Europäischen Union gibt es seit langem einen mühsam kaschierten Konflikt zwischen den finanzpolitischen Interessen Süd- und Nordeuropas. Mit dem Ukraine-Krieg ist nun unversehens ein sicherheitspolitischer Konflikt zwischen Ost- und Westeuropa aufgebrochen. Hier zieht Deutschland viel Kritik auf sich. Wie wollen wir uns da positionieren, wenn wir nicht die historische Errungenschaft aufgeben wollen, seit 1990 von Freunden umzingelt zu sein?
  • Um Fragen solcher Komplexität strategisch durchdenken – und das heißt dann auch: sie im Hinblick auf absehbare Folgen verantwortlich managen  zu können, müssen zahlreiche Perspektiven integrativ zusammengeführt werden: recht(swissenschaft)liche, wirtschaft(swissenschaft)liche, moralische und moralwissenschaftliche, politische und politikwissenschaftliche.
  • Mit blockierten Diskursen wird uns das freilich nicht gelingen. Deshalb lautet die ordonomische Empfehlung: Wir müssen Vernunft wieder stärker als sozialen Prozess begreifen – genauer: als diskursiven Prozess, in dem eine nicht auf Personen, sondern auf die Sache zielende Kritik und Gegenkritik als Motor für Erkenntnisfortschritt eingesetzt werden. Dies mutet allen Beteiligten die demokratische Pflicht zu, andere zu Wort kommen zu lassen, ihnen aktiv zuzuhören und Widerspruch zu ertragen. Gerechtfertigt wird diese Pflicht – als Klugheitsimperativ! – durch eine grundlegende Einsicht, für die John Stuart Mill schon im 19. Jahrhundert die klassische Formulierung geliefert hat. Sie lautet: “He who knows only his own side of the case, knows little of that.”[15]

 

Literatur

Clausewitz, Carl von (1832-1834; 2010): Vom Kriege. Im Internet unter: https://www.clausewitz-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2014/12/VomKriege-a4.pdf (letzter Zugriff 23.1.2023).

Friedman, Thomas L. (1998): Foreign Affairs; Now a Word From X, in: The New York Times, Ausgabe vom 2. Mai 1998, Section A, S. 15; im Internet unter: https://www.nytimes.com/1998/05/02/opinion/foreign-affairs-now-a-word-from-x.html (letzter Zugriff 23.1.2023).

Kaiser, Thomas (2023): Ukrainekonflikt: “Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, die abgebrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen”. Ein Interview mit General a.D. Harald Kujat, Onlineartikel, im Internet unter: https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-1-vom-18-januar-2023.html (letzter Zugriff 23.1.2023).

Kennan, George F. (1997): A Fatal Error, in: The New York Times, Ausgabe vom 5. Februar 1997, Section A, S. 23; im Internet unter: https://www.nytimes.com/1997/02/05/opinion/a-fateful-error.html (letzter Zugriff 23.1.2023).

Krause, Joachim (2022): An der Schwelle zum Dritten Weltkrieg – Welche Risiken darf der Westen im Ukraine-Krieg eingehen?, in: Sirius 6(3), S. 271-281, im Internet unter: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2022-3003/html (letzter Zugriff 23.1.2023).

Mearsheimer, John J. (2014): Why the Ukraine Crisis Is the West’s Fault: The Liberal Delusions That Provoked Putin, in: Foreign Affairs 93(5), S. 77-89.

Mearsheimer, John J. (2022): The Causes and Consequences of the Ukraine War, Onlineartikel vom 23. Juni 2022, im Internet unter: https://www.russiamatters.org/analysis/causes-and-consequences-ukraine-war (letzter Zugriff am 23.1.2023).

Mill, John Stuart (1859, 1977): On Liberty, in: Ders.: Collected Works of John Stuart Mill, Volume XVIII, edited by J.M. Robson. Introduction by Alexander Brady. University of Toronto Press; Routledge and Kegan Paul, S. 213-310.

Morelli, Anne (2001, 2004): Die Prinzipien der Kriegspropaganda. Aus dem Französischen von Marianne Schönbach, Springe: zu Klampen Verlag.

Pies, Ingo (2016): Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie. Von Karl Marx bis Milton Friedman, Tübingen: Mohr-Siebeck.

Pies, Ingo (2022a): 30 Jahre Wirtschafts- und Unternehmensethik: Ordonomik im Dialog, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin (wvb).

Pies, Ingo (2022b): Wahrnehmungsmuster des Ukraine-Krieges – Eine ordonomische Diskursanalyse, Diskussionspapier Nr. 2022-14 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle. Im Internet unter: https://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=62205&elem=3422243 (letzter Zugriff am 23.1.2023).

Ponsonby, Arthur (1928): Falsehood in War-Time: Containing an Assortment of Lies Circulated Throughout the Nations During the Great War, London: Garland Publishing Company.

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Ross, Annika (2023) Erich Vad: Was Sind Die Kriegsziele?, Emma-Onlineartikel vom 12. Januar 2023, abrufbar unter: https://www.emma.de/artikel/erich-vad-was-sind-die-kriegsziele-340045 (letzter Zugriff am 23.1.2023).

Schulz, Sven Christian (2022) “Wir haben keine Strategie”: Strack-Zimmermann kritisiert Regierung für verfehlte Ukraine-Politik, Onlineartikel vom 27. Dezember 2022, im Internet unter: https://www.rnd.de/politik/verteidigungspolitikerin-strack-zimmermann-kritisiert-ukraine-politik-wir-haben-keine-strategie-M7OSM52H6BG2XM2U56MGFJULYM.html (letzter Zugriff am 23.1.2023).

Stanton, Andrew (2022): Ex-U.S. General Predicts Ukraine Victory in 2023, ‘Momentum’ is With Them, Newsweek-Onlineartikel vom 27. Dezember 2022, im Internet unter: https://www.newsweek.com/ex-us-general-predicts-ukraine-victory-2023-momentum-1769765 (letzter Zugriff am 23.1.2023).

US Department of State (2021): U.S.-Ukraine Charter on Strategic Partnership, Onlinedokument vom 10. November 2021, im Internet unter: https://www.state.gov/u-s-ukraine-charter-on-strategic-partnership/ (letzter Zugriff am 23.1.2023).

WELT (2023): “Verschonen Sie uns rechts wie links mit Radio Moskau”, Onlineartikel vom 19. Januar 2023, im Internet unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article243306033/Strack-Zimmermann-Verschonen-Sie-uns-rechts-wie-links-mit-Radio-Moskau.html (letzter Zugriff am 23.1.2023).

White House (2021): Joint Statement on the U.S.-Ukraine Strategic Partnership, Onlinedokument vom 1. September 2021, im Internet unter: https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2021/09/01/joint-statement-on-the-u-s-ukraine-strategic-partnership/ (letzter Zugriff am 23.1.2023).

 

Fussnoten

[1] Vgl. Pies (2016).

[2] Vgl. Pies (2022a).

[3] Vgl. hierzu auch Pies (2022b).

[4] Vgl. Ponsonby (1928).

[5] Vgl. Morelli (2001, 2004). (1928).

[6] Hierzu heißt es bei Clausewitz (1832-1834, 2010; S. 30) im dritten Buch seines ersten Kapitels: “Der Krieg ist das Gebiet der Ungewissheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewissheit.”

[7] Vgl. Schulz (2022). (1928).

[8] Vgl. RAND (2019).

[9] Vgl. hierzu White House (2021) sowie US Department of State (2021).

[10] John Mearsheimer, ein prominenter Vertreter der heterodoxen Auffassung, changiert zwischen beiden Alternativpositionen. Einerseits weist er dem Westen “Schuld” zu. Vgl. hierzu Mearsheimer (2014). Andererseits betont er, dass nicht so sehr böse Absichten als vielmehr Politikfehler die US-Politik dazu verleitet haben, Russland in die Enge zu treiben. Vgl. hierzu Mearsheimer (2022), der folgerichtig die Tragik der Ereignisse betont und die primäre Verantwortung für das “kolossale Desaster” dieses Krieges den USA und ihren Verbündeten zuschreibt. – Ähnlich ambivalent verhält es sich mit den mittlerweile berühmten und oft zitierten Formulierungen, mit denen George F. Kennan, ein anti-westlicher Sympathien extrem unverdächtiger US-Diplomat, seinerzeit vor einer NATO-Osterweiterung warnte. Bei genauem Hinsehen sind sie jedoch näher an einer – nicht aktions-logischen, sondern – interaktions-logischen Erklärung eines verhängnisvollen Prozesses wechselseitiger Kriegsverursachung. So liest man beispielsweise bei Kennan (1997; S. 23): “[E]xpanding NATO would be the most fateful error of American policy in the entire post-cold-war era.” Und ferner wird Kennan von Friedman (1998; S. 15) mit den aus heutiger Sicht beinahe prophetisch anmutenden Worten zitiert: “Of course there is going to be a bad reaction from Russia, and then [the NATO expanders] will say that we always told you that is how the Russians are – but this is just wrong.”

[11] Vgl. hierzu Stanton (2022).

[12] Vgl. hierzu das Vad-Interview von Ross (2023) sowie das Kujat-Interview von Kaiser (2023). Es fällt auf, dass diese Stellungnahmen nicht in deutschen Mainstream-Medien erfolgt sind. Ebenfalls auffällig ist, dass beide Interviews auch dazu Aussagen enthalten.

[13] Um hierfür nur ein Beispiel zu geben: In einer Rede im Bundestag hat Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf die Kritiker deutscher Panzerlieferungen an die Ukraine mit folgenden Worten reagiert, die insbesondere an die Bundestagsfraktionen der AfD und der Linken gerichtet waren: “Verschonen Sie uns rechts wie links mit Radio Moskau.” Vgl. hierzu WELT (2023).

[14] Vgl. z.B. Krause (2022). Er vertritt folgende These (S. 280): “Die Gefahr eines Weltkriegs wird nicht zunehmen, wenn es zu qualitativ und quantitativ höheren Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine kommt, und auch dann nicht, wenn westliche Soldaten in eindeutig defensiven Operationen auf dem Territorium der Ukraine tätig werden würden.”

[15] Mill (1859, 1977; S. 245). Ferner liest man in “On Liberty” – Mill (1859, 1977; S. 229): “[T]he peculiar evil of silencing the expression of an opinion is that it is robbing the human race: posterity as well as the existing generation; those who dissent from the opinion, still more than those who hold it. If the opinion is right, they are deprived of the opportunity of exchanging error for truth; if wrong, they lose, what is almost as great a benefit, the clearer perception and livelier impression of truth, produced by its collision with error.”

 

HINWEIS:

Erschienen als Diskussionspapier Nr. 2023-02 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hrsg. von Ingo Pies, Halle 2022
https://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=64039&elem=3463847

 

Der Autor

Prof. Dr. Ingo Pies

Prof. Dr. Ingo Pies, Jg. 1964, ist seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dort arbeitet er an einem “ordonomischen” Forschungsprogramm. 2022 sind hierzu im Wissenschaftlichen Verlag Berlin (wvb) zwei Bücher von ihm erschienen: (a) Kapitalismus und das Moralparadoxon der Moderne; (b) 30 Jahre Wirtschafts- und Unternehmensethik: Ordonomik im Dialog.

 

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Ein Kommentar
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    Sehr geehrter Herr Professor Dr. Pies,
    Besten Dank für diesen interessanten Beitrag.

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