Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Prof. Dr. Philipp Schreck

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Prof. Dr. Philipp Schreck: Um es mit einer gängigen Analogie auszudrücken: Wenn Unternehmen auf Ebene der Spielregeln des Wirtschaftssystems – im Gegensatz zur Ebene der Spielzüge – agieren, beginnt ihr politisches Engagement. Das kann einerseits im öffentlichen Diskurs sein, wenn bekannte Unternehmensvertreter*innen zu gesellschaftspolitischen Fragen Stellung nehmen, z.B. zu Rassismus, Gleichstellung oder auch zu Fragen der Wirtschafts- und Handelspolitik. Joe Kaeser etwa hat sich als CEO von Siemens immer wieder öffentlichkeitswirksam zu gesellschaftspolitischen Themen geäußert; Brad Smith tritt als Präsident von Microsoft regelmäßig für die Rechte der LGBTQ+ Community ein. Mitunter positionieren sich auch Unternehmen als Ganze öffentlich, z.B. wenn sie vegetarische Ernährung in ihren Kantinen fördern oder wenn sie sich bei der Stiftung gegen Rassismus engagieren. Solche Aktivitäten werden immer wieder als “political activism” bezeichnet.

Dem gegenüber steht das Lobbying: Hier nehmen Unternehmen gezielt Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess, etwa durch Mitsprache in Gesetzgebungsverfahren. Dieses Engagement reicht von gesetzlich geregelten Anhörungen in Ausschüssen des Bundestages über direkte Kontakte zu Mandatsträger*innen bis zur politischen Verbandsarbeit.

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Prof. Dr. Philipp Schreck: Öffentliche Meinungsäußerungen und auch Interessenvertretung sind in unserer Demokratie prinzipiell legitim. Das gilt für DAX-Konzerne genauso wie für die evangelische Kirche und Amnesty International. Insofern ist die Legitimität von politischem Engagement keine Frage des “ob”, sondern eine des “wie”. Wenn politisches Engagement für Unternehmen nichts weiter ist, als die Verfolgung der eigenen wirtschaftlichen Interessen auf anderer Ebene, kann das die Integrität politischer Entscheidungsprozesse und damit die Legitimität unternehmerischer Handlungen gefährden.

Um dies zu verhindern, gibt es einige gesetzliche Regelungen, das im Januar eingeführte Lobbyregister ist ein prominentes Beispiel. Aber sie reichen nicht aus. Zusätzlich müssen Unternehmen sich auch selbst an Regeln verantwortlichen Lobbyings binden und ihr Engagement dadurch legitimieren. Unter dem Schlagwort “Responsible Lobbying” gibt es zahlreiche Vorschläge, wie legitime Interessenvertretung auszusehen hat. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Unternehmen ein Interesse an einer solchen Selbstbindung haben: Denn nur wenn sie als legitime politische Akteure wahrgenommen werden, wird ihnen die Möglichkeit der Einflussnahme langfristig gewährt.

Die wichtigsten Richtlinien für verantwortliches Lobbying konvergieren in ihren Kernzielen, die sich in vier Kategorien ordnen lassen. Erstens sind die in der Lobbyarbeit vertretenen Positionen nur legitim, wenn sie zumindest auch gesellschaftliche Belange berücksichtigen und Lösungsvorschläge zum gegenseitigen Vorteil bieten. Zweitens gibt es Anforderungen an den Lobbying-Prozess, z.B. soll er transparent sein, evidenzbasiert und integrativ. Drittens sollte die Lobbyarbeit durch eine interne Governance gesteuert sein, die etwa Management-Systeme und klare Verantwortlichkeiten einschließt. Und viertens schließlich sollten Unternehmen bei der Gestaltung eines geeigneten Lobby-Kontexts mitwirken, z.B. durch die Etablierung kollektiver Standards guten Lobbyings.

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Prof. Dr. Philipp Schreck: Politisches Engagement zum gegenseitigen Vorteil – kurz: win-win – ist ein Ideal, das real natürlich nicht immer existiert. Selbstverständlich gibt es Beispiele für illegitimes Lobbying: Man denke an die Versuche der Tabakindustrie in den 1950er Jahren, die gesundheitsschädigenden Wirkungen von Rauchen zu verharmlosen. Unternehmen unterliegen dem Wettbewerb, daher wäre es naiv zu glauben, sie würden sich beim Lobbying primär am gesellschaftlichen Wohl orientieren. Das führt zu zwei Risiken:

Wenn politische Maßnahmen gesellschaftlich erwünscht, aber betriebswirtschaftlich schädlich sind, sollten wir nicht auf Unternehmen zählen. Ein plakatives Beispiel: Mir ist kein US-amerikanischer (oder russischer oder chinesischer) Waffenproduzent bekannt, der die USA (Russland, China) zur Unterzeichnung des internationalen Anti-Minen Abkommens drängen würde. Analoges gilt für den zweiten Konfliktfall: Wenn politische Maßnahmen betriebswirtschaftlich vorteilhaft, aber gesellschaftlich schädigend sind, müssen Grenzen von außen gesetzt und können realistischerweise nicht von den Unternehmen selbst erwartet werden. Unternehmen sind eben nur einer von vielen Akteuren im politischen Entscheidungsprozess. Und auch wenn ihre Expertise unverzichtbar ist, wird sie vor dem Hintergrund einer sehr speziellen Interessenlage eingebracht.

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Prof. Dr. Philipp Schreck: An die Governance von politischem Engagement werden verschiedenste Anforderungen gestellt. Die Interessenvertretung durch Unternehmen sollte eine Anbindung zum Vorstand haben, die inhaltliche Linie durch ein von den Lobbyisten unabhängiges Gremium mitbestimmt werden. Einflussnahmen sollten dem Unternehmen stets zuzuordnen sein, was bei der Zusammenarbeit mit Dritten (Verbänden, Lobby-Organisationen) nicht immer der Fall ist. Explizite Grundsätze und Leitlinien guter Lobbying-Praxis (inkl. entsprechender Schulungen) tragen dazu bei, dass Unternehmen ihre Rolle als politische Akteure in verantwortungsvoller Weise wahrnehmen können. Und schließlich fördern regelmäßige externe Evaluationen eine kritische Auseinandersetzung und Fortentwicklung der eigenen Lobby-Arbeit.

Über solche Strukturen hinaus benötigen Unternehmen ein Verständnis dafür, dass politisches Engagement nicht derselben marktlichen Logik des Wettbewerbs unterliegt wie die Kernaktivitäten des Unternehmens. Im System der Marktwirtschaft ist es üblich (und letztlich sogar gewollt), dass der Erfolg eines Marktakteurs mit dem Verlust eines anderen Marktakteurs einhergeht. Diese Logik hat Schumpeter mit dem Begriff der schöpferischen Zerstörung auf den Punkt gebracht. Im politischen System gilt sie aber nur begrenzt. Natürlich gibt es auch hier den Wettbewerb der Ideen, und wenn sich eine Idee durchsetzt, verliert meist eine andere. Aber Politik als (kooperatives) Auffinden gemeinsamer Regeln dient letztlich dem gegenseitigen Vorteil. Um Mehrheiten für Ideen zu gewinnen, ist es daher wichtig, dass möglichst viele Beteiligte ihre Vorteile in dieser Idee sehen. Das hat mittlerweile auch so mancher Automobilkonzern verstanden, der sich zum aktiven Gestalter der Energiewende entwickelt. In jedem Fall müssen Unternehmensvertreter*innen verstehen, dass es bei politischem Engagement nicht um die einseitige Durchsetzung der eigenen Interessen geht, sondern um das Auffinden mehrheitsfähiger Lösungen (auch) im eigenen Interesse.

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Prof. Dr. Philipp Schreck: Unternehmen können nicht so tun, als gingen politische Fragen sie nichts an, das zeigt das Beispiel Russland. Ich denke es gibt gute Gründe für einige Unternehmen, derzeit nicht mehr in Russland zu arbeiten. Für andere hingegen gäbe es gute Gründe, weiter in Russland aktiv zu bleiben. Im Gegensatz zu einigen meiner Kolleg*innen glaube ich hier nicht an die eine allgemeingültige Antwort. Aber wie auch immer Unternehmen sich positionieren: Sie müssen Teil des Diskurses sein und gute Gründe für ihre Entscheidung angeben, was jedoch einiges an (nicht zuletzt ethischer) Reflexions- und Argumentationskompetenz erfordert. Diese muss geschult werden, etwa in Hochschulen und Weiterbildungsangeboten.

Außerdem scheint mir wichtig, dass Unternehmen im politischen Diskurs nicht nur als Vertreter bestimmter gesellschaftspolitischer Ideen auftreten. Das mag zwar in manchen Fällen geboten sein (Bsp. Rassismus); in anderen, weniger eindeutigen Fällen hingegen, sollten sich Unternehmen nicht an Lagerbildung beteiligen, sondern sich als Förderer des politischen Diskurses selbst verstehen. Unternehmen sind für ihre Mitarbeiter*innen ein Ort, an dem diese einen großen Teil ihres Lebens verbringen. Spätestens in der Kantine treffen sehr unterschiedliche Ansichten aufeinander. In allen nicht-trivialen Fällen sollte der deshalb notwendige Diskurs durch Unternehmen weder unterdrückt noch entschieden werden; sondern unterstützt und gestaltet.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

 

 

 

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