Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Prof. Dr. Ingo Pies

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Prof. Dr. Ingo Pies: Im Forschungsprogramm der “Ordonomik” arbeiten wir mit einem ausgefeilten Konzept von unternehmerischer “Ordnungsverantwortung”. Es sieht vor, dass Unternehmen sich als Organisationsbürger (“Corporate Citizens”) politisch engagieren, indem sie nicht nur passiv als Regelnehmer fungieren, sondern sich aktiv an politischen Diskursen zur Regelfindung sowie an politischen Verhandlungen zur Regelsetzung beteiligen. Dabei setzen wir einen weit gefassten Begriff von Politik – im Sinne von Governance – voraus, der neben “public ordering” durch staatliche Gesetzgebung auch “private ordering” in Form kollektiver Selbstbindungen umfasst. Die Hanse ist hierfür ein historisches Beispiel. Zeitgenössische Beispiele reichen von Verbandsstrukturen über Branchenstandards bis hin zu bi- oder trisektoralen Partnerschaften wie etwa der “Global Reporting Initiative” oder der “International Organization for Standardization”. Generell geht es darum, dass (potentielle) Konkurrenten kooperieren, aber nicht im Hinblick auf ihre Spielzüge innerhalb von Wettbewerbsspielen, sondern im Hinblick auf die Spielregelgestaltung. Es geht also um weit mehr als nur um “Responsible Lobbying” (innerhalb parlamentarischer Gesetzgebungsprozesse). Zum politischen Engagement von Unternehmen zählt die Ordonomik nicht nur Gespräche, die Unternehmensmanager mit Politikern und Beamten in Hinterzimmern führen, sondern auch die öffentliche Kommunikation, mit der Unternehmen auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen. Und dann kommt noch all das hinzu, was man als Stakeholder-Management beschreiben kann und sich sozusagen nicht im öffentlich-rechtlichen, sondern im privat-rechtlichen Bereich der Gestaltung von Rahmenbedingungen abspielt. Zahlreiche Vertragsgestaltungen und Incentivierungen, die zwischen Unternehmen (und anderen Akteuren) ausgehandelt werden, gehören aus ordonomischer Sicht zur politischen Governance unternehmerischer Wertschöpfungsnetzwerke.

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Prof. Dr. Ingo Pies: Aus ordonomischer Sicht haben Unternehmen als Organisationsbürger ähnliche Rechte und Pflichten wie Menschen aus Fleisch und Blut. Auch macht es hier wenig Sinn, For-Profit-Organisationen einen anderen Status zuzuweisen als Non-Profit-Organisationen oder hybriden Zwischenformen, die oft als “Social Businesses” bezeichnet werden. Solche Diskussionen konzentrieren sich auf die Frage, wem es erlaubt sein soll, seine Interessen zu vertreten. Ich halte diese Frage für irreführend und weitgehend unbrauchbar. Besser wäre es, nach Kriterien zu fragen, wie Interessen verfolgt werden dürfen – und wie bitteschön nicht. Dann sieht man sofort, dass es nicht wirklich auf den juristischen Personenstatus ankommt, sondern vielmehr darauf, die Verfolgung partikularer Interessen institutionell so zu kanalisieren, dass sie von Win-Lose auf Win-Win ausgerichtet wird. Im Klartext: Das Hauptproblem beim politischen Engagement von Unternehmen besteht darin, das Kartell-Streben nach Wettbewerbsbeschränkungen zu unterbinden, also das Streben danach, sich auf Kosten Dritter zu bereichern. Das wusste schon Adam Smith. Aus ordonomischer Perspektive kommt es darauf an, die von wirtschaftlichen Tauschprozessen bekannte Logik wechselseitiger Besserstellung in die politischen Tauschprozesse hineinzuprolongieren: Unternehmen, die sich als Organisationsbürger politisch für bessere Rahmenordnungen engagieren, betreiben eine gemeinwohlorientierte Wertschöpfung zweiter Ordnung. Hierbei lautet die Gretchenfrage: Schränkt die kollektive Regelverabredung den gemeinwohlorientierten Leistungswettbewerb ein, oder forciert sie ihn? Letzteres ist angemessen, ersteres nicht.

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Prof. Dr. Ingo Pies: Unternehmerisches Engagement hat dort seine Grenzen, wo das Eigeninteresse am wirtschaftlichen Erfolg auch beim besten Willen nicht mit dem Gemeinwohl vereinbart werden kann. Man kann von Minenproduzenten nicht verlangen, dass sie sich aktiv für ein Verbot von Minen einsetzen. Wenn man solche Verbote will, muss man sie den Unternehmen im Zweifelsfall von außen auferlegen, anstatt auf freiwillige Selbstregulierung zu setzen. – Im Übrigen gibt es eine breite Literatur über Kartellierung und Protektionismus, aber auch über “Rent-Seeking” und “Regulation Capture” sowie Korruption. Auf dem Gebiet politischen Unternehmensengagements lauern zahlreiche Gefahren. Da darf man nicht blauäugig sein. Aber es gibt eben auch zahlreiche Chancen. Und die muss man klug nutzen. Wenn unsere gesellschaftlichen Lernprozesse angesichts zunehmender Problemkomplexität erfolgreich(er) sein sollen, werden wir nicht umhinkommen, auf intelligente Formen von “Coopetition” zu setzen, d.h. bei der politischen Spielregelgestaltung verstärkt auf die Fachkompetenz und Kooperationsbereitschaft jener Akteure zu setzen, die dann im Rahmen dieser Spielregeln im Hinblick auf ihre individuellen Spielzüge unter Wettbewerbsdruck stehen (sollen). Transparenz ist hierfür ein wichtiger Grundsatz: Das politische Engagement von Unternehmen (aber auch von allen anderen Organisationen und Personen) sollte stets unter öffentlicher Beobachtung und folglich stets mit einem (selbst-)kritischen Rechtfertigungsdruck zugunsten allgemein nachvollziehbarer Argumente erfolgen. Sonst verkommt es schnell zum Selbstbedienungsladen. Oder um es ein wenig akademisch auszudrücken: Genau so, wie das wirtschaftliche Unternehmenshandeln einer wirksamen Ordnungspolitik erster Ordnung bedarf, benötigen moderne Gesellschaften für das politische Unternehmenshandeln (aber auch für das politische Verhalten von Non-Profits) eine ebenso wirksame Ordnungspolitik zweiter Ordnung.

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Prof. Dr. Ingo Pies: Darüber habe ich gerade einen Aufsatz geschrieben.[1] Hier ist die Kurzfassung: Aus ordonomischer Sicht benötigen Manager zusätzlich zur Optimierungskompetenz auch Governancekompetenzen. Die vermittelt man am besten dadurch, dass man das Denken in sozialen Dilemmata schult. Manager können lernen, sensibel zu werden für Konflikte – und für das in Konflikten angelegte Potential zukünftiger Wertschöpfung. Konflikte sind nicht als ein zu vermeidendes Problem, sondern als eine aktiv zu ergreifende Chance zu begreifen, weil sie auf “missing markets” verweisen, die es mittels Governance zu organisieren gilt. Aus ordonomischer Sicht gibt es deshalb eine ganz enge Verknüpfung zwischen dem politischen Engagement von Unternehmen und der Option, gesellschaftliche Probleme durch Innovation zu lösen: durch das (Er-)Finden neuer Anreizarrangements, die dem wirtschaftlichen Leistungswettbewerb durch politische Governance neue Betätigungsfelder eröffnen.

[1] Vgl. Pies, Ingo (2022): Management-Kompetenzen für nachhaltige Wertschöpfung – Anregungen aus ordonomischer Sicht, Diskussionspapier Nr. 2022-06 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, im Internet unter: https://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=61463&elem=3416451 (letzter Zugriff am 19.7.2022).

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Prof. Dr. Ingo Pies: Wir stehen vor großen Herausforderungen, deren Bewältigung man als moralische Anliegen auffassen kann: angefangen vom demographischen Wandel über die soziale Balance bis hin zur globalen Armutsbekämpfung und zum globalen Umweltschutz. Um nur ein konkretes Thema zu nennen: Wenn wir die weltweite Erwärmung in vertretbaren Grenzen halten wollen, müssen wir bei Treibhausgasen möglichst bald in den Bereich von Negativemissionen vorstoßen. Das wird – wenn überhaupt – nur durch radikale Innovationen gelingen. Die dafür nötigen Rahmenbedingungen haben wir derzeit noch nicht. Der Klimapolitik der letzten 30 Jahre stellt das kein gutes Zeugnis aus. Nach vorn schauend, benötigen wir eine dramatische Intensivierung der Anstrengungen für Forschung und Entwicklung. Das kann man nicht gegen, sondern nur mit den Unternehmen – und vor allem: durch sie – ins Werk setzen (lassen). Ich möchte es abschließend so sagen: Unternehmen haben als Wertschöpfungsagenten im gesellschaftlichen Auftrag innerhalb einer Marktwirtschaft drei wichtige Aufgaben, die man mit den Stichworten “Kosteneffizienz”, “Innovationsdynamik” und “Rentendiffusion” beschreiben kann. Insbesondere die zweite Aufgabe, Neuerungsimpulse zu generieren, kann man nur dann zur vollen Entfaltung bringen, wenn man Unternehmen nicht nur als wirtschaftliche Akteure, sondern auch als politische Akteure in Dienst nimmt, um die moralischen Anliegen der modernen Gesellschaft besser zu verwirklichen. Wir benötigen eine Kultivierung des politischen Engagements von “Corporate Citizens”, damit unsere gesellschaftliche (Selbst-)Aufklärung und (Selbst-)Steuerung zukünftig besser funktioniert.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

 

 

 

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