Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Johanna Jaurich.

 

(1) Was machen Sie zurzeit beruflich? Welche Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, sehen Sie besonders von der Pandemie betroffen?

Johanna Jaurich: Ich arbeite als Regisseurin, Autorin und Producerin für nachhaltige Dokumentarfilme bei der renommierten Filmproduktion fechnerMEDIA, die seit 31 Jahren “VorBilder für nachhaltiges Handeln” zeigt.

Derzeit arbeiten Geschäftsführer, Produzent und Regisseur Carl-A. Fechner und ich gemeinsam an einem neuen, weltweiten und klimaneutral produzierten Filmprojekt: THE STORY OF A NEW WORLD. In seiner einzigartigen Machart verbindet dieser Impact-Film konstruktiven Journalismus, eine mitreißende Spielfilm-Rahmenhandlung und real existierende Lösungen für die Klimakrise zu einer wegweisenden Geschichte einer neuen Welt, die wir dringend brauchen.

Aktuell befinden wir uns in der Finanzierungsphase des Projektes (durch Crowdfunding und Impact Investment) und planen im Frühjahr 2022 mit den Dreharbeiten zu beginnen. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob wir diesen Plan einhalten können, denn das ist neben der erfolgreichen Finanzierung auch abhängig von den Einreisebestimmungen dutzender Drehländer.

Auch bei unseren inhaltlichen Recherchen müssen wir feststellen, in welchem Maße das weltweite Management der Corona-Situation globale Ungerechtigkeiten verstärkt und dazu führt, dass noch mehr Menschen hungern, schlechter ausgebildet sind und in Armut leben. Die Konsequenzen unseres Umgangs mit der Pandemie zeigen sich jetzt deutlich in den Bereichen Bildung, Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Verteilung von Reichtum und dem Zugang zu Gesundheitssystemen.

 

(2) Wie änderte sich in den Zeiten der Pandemie, Ihrer Einschätzung nach, die Bedeutung von Unternehmensverantwortung und CSR?

Johanna Jaurich: Im Zuge der Corona-Situation änderte sich auch das politische Narrativ: Schnell sprach man nicht mehr nur davon Menschen und ihre Gesundheit zu schützen, sondern auch über Unternehmen. Millionen Euro wandern aus den Taschen der SteuerzahlerInnen hinein in Unternehmen, um damit Kurzarbeit zu ermöglichen – während manche dieser Unternehmen dreist weiter an Gewinnausschüttungen für ihre Aktionäre festhalten (z.B. BMW).

Im Zuge lauter werdender Kritik rückt auch das Thema Unternehmensverantwortung stärker in den Vordergrund, insbesondere in Zeiten multipler Krisen, in denen wir uns befinden. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist inzwischen zu einem ausgewachsenen Canyon geworden, große Unternehmen wie H&M haben sich während der Pandemie von ihrer hässlichsten Seite gezeigt und die ungerechten und klimaschädlichen Auswirkungen der Produkte, intransparente Lieferketten und menschenrechtsverletzende Arbeitsbedingungen vieler Unternehmen stinken zum Himmel.

Doch es regt sich Widerstand und immer mehr Menschen fragen sich: Wie möchte ich arbeiten? Welche Philosophie sollte die Firma haben, der ich einen Großteil meiner Lebenszeit widme? Welche Werte sind dabei für mich handlungsweisend? Welche Produkte möchte ich anbieten oder mitproduzieren? Welchen Beitrag zum Gemeinwohl will ich leisten? Wie hoch ist mein Impact auf Umwelt und Klima?

Die Ideen-Samen der UnternehmerInnen von morgen treffen auf den passenden gesellschaftlichen Nährboden im heute, sodass neue Unternehmen und Start-Ups aus dem Boden sprießen, die zum Gemeinwohl beitragen wollen, ihren Fokus auf reine Gewinnmaximierung überdenken, wertebasiert und ethisch wirtschaften, Kreisläufe in ihren Geschäftsmodellen mitbedenken und Produkte und Dienstleistungen erschaffen, die langfristig ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig sind.

Sie haben erkannt, dass das Wort “Unternehmen” auch daher rührt, etwas zu unternehmen und zwar nicht nur auf dem Papier. Sie werden zu Gestaltern ihrer eigenen unternehmerischen Zukunft und erkennen, dass langfristiger Erfolg (wie auch immer man ihn definieren mag) heutzutage nur noch im Einklang mit Nachhaltigkeit erreicht werden kann.

 

(3) Wie hat die Pandemie aus Ihrer Sicht zu einer Verschiebung der gesellschaftlichen Priorisierung von Nachhaltigkeitsthemen beigetragen?

Johanna Jaurich: Ich habe den Eindruck, die Situation hat uns zum ersten Mal unsere eigene Verletzlichkeit bewusst gemacht, unser Eingebettetsein in einen größeren natürlichen Zusammenhang und uns unsere gegenseitige Abhängigkeit im Zuge der fortschreitenden Globalisierung vor Augen geführt. In Folge dessen sind viele Menschen demütiger geworden und entwickelten während der Lockdowns ein ganz neues Verhältnis zur Natur und ihrer Umwelt.

In Kombination mit den derzeitigen gesellschaftlichen Umständen und einer immer größer werdenden, globalen Umweltbewegung, maßgeblich vorangetrieben von FridaysforFuture und der Politisierung der jüngeren Generationen, erhalten Nachhaltigkeitsthemen endlich zunehmende Bedeutung in Unternehmen, Institutionen sowie auf der politischen und medialen Agenda.

Nun liegt es an jedem und jeder Einzelnen von uns, diese neuen Erfahrungen in uns Selbst zu integrieren, uns in unserem Handeln und unseren Konsumentscheidungen von ihnen leiten zu lassen und insbesondere konsequent strukturelle Veränderungen von unseren VolksvertreterInnen einzufordern.

 

(4) Weiter geht es mit einer Grundsatzfrage: Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?

Johanna Jaurich: Machen wir uns nichts vor: Es geht schon längst nicht mehr darum wie wir wirtschaften “möchten”, sondern wie wir überhaupt zukunftsfähig wirtschaften “können”. Unternehmen, die auf der Ausbeutung endlicher Ressourcen basieren, geht über kurz oder lang die Unternehmensgrundlage aus. Je früher sie ihren eigenen Untergang erkennen, desto eher können sie einlenken und umso weniger Unschuldige ziehen sie mit sich in den Abgrund. 

Ich denke, dass die Samen eines neuen Wirtschaftens schon lange zu keimen begonnen haben und der Umgang mit der Corona-Situation eher die Tropfen sind, die so manchen weiteren Samen dazu brachten, sich der Sonne entgegen zu recken. Und wer noch Anleitung braucht, findet sie in Büchern wie “Unsere Welt neu denken” von Maja Göpel, “Das neue Land” von Verena Pausder oder “Unfuck the Economy” von Waldemar Zeiler.

 

(5) Stichwort “The New Normal”: Welche aus der Pandemie entstandenen Potentiale sollten künftig beibehalten werden und was wünschen Sie sich aus der Zeit vor der Krise zurück?

Johanna Jaurich: Ich glaube nicht an den Begriff “the new normal”, wenn “the old normal” keine Normalität, sondern eine Aneinanderreihung multipler Krisen war. 

Wir können die Zeit nicht zurückdrehen – weder was die weltweite Ausbreitung eines neuartigen Virus betrifft, noch die Klimakrise. 

Wenn wir uns als GestalterInnen und Mitwirkende am zivilisatorischen Fortschritt erkennen, dann erleben wir Selbstwirksamkeit. Nach einem Jahrhundert technischer Innovationen brauchen wir nun ein Jahrhundert sozialer Innovationen. Die Werkzeuge hierfür tragen wir von Kindesbeinen an in uns: Mut, Verantwortungsbewusstsein, die Fähigkeit zu Handeln, Angebundensein und globale Solidarität. Der einfachste Weg um diese zu aktivieren, ist es uns mit Gleichgesinnten zu umgeben. 

Schritt für Schritt könnten wir so gemeinsam in eine Zukunft gehen, die uns vor unsere bisher größte Krise stellt und doch gleichzeitig auch das größte Potential dafür birgt, unsere Gesellschaften gerechter, gesünder, resilienter und nachhaltiger zu gestalten.

 

Unternehmensverantwortung und CSR in der Krise – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe zum Thema Wirtschaftsethik in Krisenzeiten. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

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