Interview mit Dr. Wolfgang Bartels.

Herr Dr. Bartels, Sie sind seit Juli diesen Jahres Chief Compliance Officer der Daimler AG und waren zuvor bereits in verschiedenen Positionen der Rechtsabteilung tätig. Wenn Sie auf die vergangenen Wochen und Monate zurückblicken: Was hat sich geändert beim Compliance- und Risikomanagement in diesen Zeiten der Pandemie?

Dr. Wolfgang Bartels: Wir mussten den Status quo unserer tagtäglichen Arbeitsroutinen und – Prozesse hinterfragen: Wie reagieren wir als Compliance-Einheit darauf, wenn ein “normales Arbeiten” kaum noch möglich oder stark eingeschränkt ist? Da mussten wir manches umorganisieren und neue Dinge lernen, inzwischen haben wir auch für die aktuelle Ausnahmesituation angemessene Instrumente und Arbeitsweisen gefunden und etabliert.

Eines war aber von Anfang an klar: Compliance ist für uns unverzichtbar – auch in einer Pandemie.

 

“Integrität in der Wirtschaft – braucht es dazu den Gesetzgeber?” Zugegeben, eine sehr weit gefasste Frage. Bezogen auf ein mögliches Verbandssanktionengesetz oder auch ein mögliches Sorgfaltspflichtengesetz, aber vielleicht doch etwas konkreter: Wie ist denn ihr praktischer Blick zu diesem Thema?

Dr. Wolfgang Bartels: Es kann durchaus helfen, wenn der Gesetzgeber einen rechtlichen Rahmen vorgibt. Nehmen wir die aktuelle Gesetzesinitiative zum Thema Lieferketten als Beispiel: In einem globalen Unternehmen wie Daimler ist es durchaus üblich, dass die Lieferkette – bezogen auf den Aspekt der Menschenrechte – bis zu sieben oder acht Stufen umfasst. Wir sind national und international tätig und finden dort unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen vor. Es handelt sich also um ein hochkomplexes System. Ein mögliches Sorgfaltspflichtengesetz kann helfen, in der gesamten Lieferkette gleiche gesetzliche Anforderungen zu haben. Wir erhalten dadurch in einem internationalen Kontext das gleiche “Level Playing Field” und eine Transparenz über die ganze Lieferkette hinweg. Insofern können solche Gesetzesinitiativen dazu führen, dass Unternehmen Dinge einfacher umsetzen können. Deswegen stehen wir dem Sorgfaltspflichtengesetz offen gegenüber, wenn die Vorgaben angemessen und für uns als Unternehmen auch umsetzbar sind.

 

Stichwort Unternehmenskultur: Wie gehen Sie damit um und welche Maßnahmen greifen Ihrer Ansicht nach, um Mitarbeiter_innen darin zu befähigen, gute und ausgewogene Entscheidungen zu treffen trotz jeweiliger  Compliance-Kontrollen? Sprich, wie fördern Sie eine entsprechende (ethische) Unternehmenskultur in Ihrem Unternehmen?

Dr. Wolfgang Bartels: Compliance muss das Fundament eines Unternehmens sein, sonst kann es nicht dauerhaft erfolgreich wirtschaften. Das heißt: Compliance muss tief in der Unternehmenskultur verankert sein. Das ist ein intensiver und kontinuierlicher Prozess, der sich aber lohnt. Regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter sind dabei ein ganz wichtiges Instrument. Die Trainings müssen dabei auf die konkreten Aufgaben der Beschäftigten zugeschnitten sein, damit sie Compliance auch in ihrem Arbeitsalltag umsetzen können.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die sogenannte “Speak Up-Kultur”. Das heißt für mich, dass wir auch kritische Themen offen ansprechen und schwierige Entscheidungen bewusst treffen. Speak-Up bedeutet dabei nicht nur, dass ich mit meinem Vorgesetzten über offene Fragen oder Probleme reden kann. Wir haben dafür auch weitere Anlaufstellen, wie beispielsweise unser Hinweisgebersystem Business Practices Office (BPO).

 

Wonach bedarf es nun im Besonderen, dass die Compliance-Abteilung im Unternehmen von Mitarbeiter_innen als “Business Enabler” – also als Wegbereiter für Geschäfte – wahrgenommen wird und worin liegen hierbei die größten Herausforderungen?

Dr. Wolfgang Bartels: Wir bemerken, dass die Herausforderungen für Compliance größer werden und gleichzeitig der wirtschaftliche Druck steigt. Eine unserer größten Herausforderungen dabei ist, sicherzustellen, dass wir uns im Unternehmen nicht gegenseitig blockieren. Risiken im Blick zu behalten und zu kontrollieren ist wichtig. Aber das Wirtschaftsleben besteht natürlich auch darin, bewusste, kalkulierte Risiken einzugehen. Wir wollen als Compliance-Abteilung nachhaltig Geschäfte ermöglichen. Dafür ist es wichtig, dass Compliance nicht als Silo agiert, sondern dass wir ein Teil des Geschäfts sind und interdisziplinär mit den Business-Kollegen von Anfang an zusammenarbeiten.


Zum Abschluss die Frage: Wie sieht Ihre Arbeit in fünf Jahren aus?

Dr. Wolfgang Bartels: Ich denke, dass sich unsere Arbeit immer mehr in Richtung eines “Risikomanagers” entwickelt und die Zahl der verschiedenen Compliance-Felder, um die wir uns kümmern werden, weiter zunimmt. Nehmen wir Künstliche Intelligenz als Beispiel. Sie bietet enorme Chancen, sowohl für innovative Services im Fahrzeug als auch für die Produktion und unsere Arbeitsweise; gleichzeitig bringt dieser Trend auch gewisse Risiken mit sich, die identifiziert und minimiert werden müssen. Wir nennen das adaptive Compliance: Neben den “klassischen” Compliance-Feldern gibt es immer mehr solcher Themen, die wir auf Risiken überprüfen müssen, um erfolgreich zu bleiben. Das umfasst beispielsweise auch regulatorische Änderungen im Bereich technische Compliance oder beim Thema Daten. Die Bedeutung von Compliance für den Unternehmenserfolg wird also weiter zunehmen.

 

Im Zuge der DNWE-Veranstaltung zum Thema “Integrität und Compliance in der Krise – oder: Warum Wirtschaftsethik gerade jetzt gebraucht wird” am 09. Oktober 2020 nahm Dr. Wolfgang Bartels, Chief Compliance Officer der Daimler AG, an einer Paneldiskussion zum Thema “Integrität in der Wirtschaft – braucht es dazu den Gesetzgeber”  teil.
Es diskutierten zudem:

  • Stefanie Reichel | Chief Legal & Compliance Officer der Vodafone GmbH, Vorsitzende des DICO-Verwaltungsrats
  • Dr. Charlotte Schmitt–Leonardy | Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und interdisziplinäre Rechtsforschung an der Universität Bielefeld
  • Rainald Thannisch | Referatsleiter für Mitbestimmung, Corporate Governance und CSR beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)

Moderiert wurde die Paneldiskussion von Prof. Dr. Stephan Grüninger und Dr. Otremba.

Zum Nachbericht zur Veranstaltung gelangen Sie hier.

Hier finden Sie die Aufzeichnung der Diskussion:

 

Dr. Wolfgang Bartels

Dr. Wolfgang Bartels ist seit dem 1. Juli 2020 Leiter des Bereichs Compliance bei der Daimler AG und Chief Compliance Officer. Dr. Wolfgang Bartels studierte Rechtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen sowie in Fribourg (Schweiz). 2005 wurde er in Tübingen promoviert. Er trat 2007 nach Stationen in einer internationalen Anwaltskanzlei in die Rechtsabteilung der Daimler AG im Bereich Einkauf und Kooperationen ein. Im Unternehmen hatte er mehrere Leitungspositionen, unter anderem im Bereich “Mergers & Acquisitions” und als Geschäftsführer und Vorstand in verschiedenen Daimler-Tochtergesellschaften. Von 2017 bis 2019 war er Leiter des Bereichs Vertrieb und After Sales in der Rechtsabteilung der Daimler AG. Vor seiner Ernennung zum Chief Compliance Officer leitete er die Rechtsabteilung der Mercedes-Benz AG.

 

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