Holger Backhaus-Maul, Martin Kunze und Stefan Nährlich (Hg.): Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland. Ein Kompendium zur Erschließung eines sich entwickelnden Themenfeldes, Wiesbaden: Springer VS, 2018.

 

Dieser Sammelband wird von den Herausgebern (Holger Backhaus-Maul, Martin Kunze und Stefan Nährlich) in ihrer Einleitung als Lehrbuch bezeichnet und will somit einen umfassenden Überblick über das Themenfeld der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen geben. Hierfür werden drei Zugänge gewählt (S. 3[1]):

  1. gesellschafts- und ordnungspolitische Rahmenbedingungen,
  2. sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschungsperspektiven sowie
  3. gesellschafts- und unternehmensbezogene Handlungsfelder.

Als Ausgangspunkt dient den Herausgebern eine Situationsanalyse, die angesichts einer zunehmenden Ökonomisierung der Gesellschaft – auch jenseits der Wirtschaft – in einer globalisierten Welt eine zunehmende öffentliche Verantwortungszuschreibung an Unternehmen konstatiert, auf die Unternehmen durchaus mit einer tatsächlichen oder symbolischen Annahme von Verantwortung reagieren. Zugleich wird aber auch deutlich, dass angesichts der Grenzen marktlicher Steuerung die Notwendigkeit einer reflektierten Steuerung und Regelung der Rahmenbedingungen des Wirtschaftens notwendig ist. Dieser Aspekt wird durch die Beiträge des ersten Abschnitts beleuchtet, die sich mit der gesellschaftspolitischen Verortung der Verantwortung von Unternehmen beschäftigen. Statt sich nach den Rahmenbedingungen der Innenperspektive der unternehmerischen Verantwortung zu widmen, beschäftigt sich der zweite Abschnitt mit einer Metaperspektive, nämlich den unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Sichtweisen auf die gesellschaftliche Unternehmensverantwortung. Schließlich werden im letzten Abschnitt bestimmte Handlungsfelder beleuchtet, innerhalb derer Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Ohne auf alle Beiträge im Folgenden detailliert eingehen zu können, sollen die drei Abschnitte, die jeweils sechs bis sieben Beiträge enthalten, kurz beschrieben werden. Im ersten Abschnitt, der sich den Rahmenbedingungen widmet, beschreibt Alexander Lorch die Versuche, die Soziale Marktwirtschaft als das ordnungspolitische Konzept der deutschen Nachkriegsgeschichte (S. 13) bzw. die ihr zugrundliegende Ordnungsidee, insbesondere die der Haftung, zu revitalisieren (S. 20ff.). Auch der Beitrag von Michael Hüther beschäftigt sich mit ordnungspolitischen Fragen und vor allem den Grenzen von gesetzlichen Rahmenordnungen, aus denen er die spezielle Verantwortung von Unternehmen a) für die Rahmenordnung selbst, b) für die Diskurse im öffentlichen Raum und c) für ihr Handeln in Bezug auf die Beschäftigten ableitet. Zugleich macht er auch auf die damit verbundenen Konflikte aufmerksam, die über die üblicherweise diskutierten Konflikte zwischen Gewinn und Gemeinwohl hinausgehen (etwa, wenn er auf die Verteilungskonflikte zwischen unterschiedlichen Stakeholdern eingeht). Der Beitrag von Olga Males und Kathrin Bohling untersucht die Rolle von Civil Society Organizations (CSO) als eine wesentliche – und bislang unzureichend untersuchte – Rahmenbedingung für die Implementierung von Corporate Social Responsibility (CSR) in Unternehmen. Dabei wird deutlich, dass als nicht intendierte Effekte der Aktivitäten von CSO u. a. eine Legitimierung auf der Mikroebene sowie eine Selbstbegrenzung staatlichen Handelns auf allgemeine Richtlinien und Selbstverpflichtungen von Unternehmen zu beobachten ist (S. 62). Stefanie Hiß, Sebastian Nagel und Bernd Teufel beschäftigen sich mit dem Zusammenspiel von Unternehmen und dem Social Responsible Investment (SRI), das eine spezifische Informationsinfrastruktur schafft, die auch für den Mainstream z. B. Nachhaltigkeit zu einem nutzbaren Argument machen kann. Dorothea Baur zeigt auf, wie Unternehmen durch Lobbying selbst Einfluss auf die Rahmenordnung nehmen und verweist auf die Notwendigkeit der Orientierung an Gemeinwohl und öffentlicher Legitimation. Schließlich beschäftig sich Daniel Kindermann mit der Entwicklung der Rahmenregeln für CSR auf europäischer Ebene und zeigt eine Entwicklung von freiwilliger CSR zu stärker rechtlichen Vorgaben, die aber insbesondere von Deutschland massiv bekämpft wurden.

Im zweiten Abschnitt wird die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen betrachtet: aus dem wirtschaftssoziologischen (Andrea Maurer), dem (betriebs-)wirtschaftswissenschaftlichen (Christoph Schank und Thomas Beschorner) dem politikwissenschaftlichen (Rudolf Speth), dem rechtswissenschaftlichen (Karsten Nowrot), dem kommunikationswissenschaftlichen (Klaus-Dieter Altmeppen und Isabel Bracker) und dem neoinstitutionalistischen (Stephan Bohn). Dazwischen bietet Judith Polterauer einen guten Überblick über die empirischen Studien zu CSR bzw. CC. Hierbei lohnt es sich, die Beiträge von Maurer, Schank/Beschorner und Bohn im Zusammenhang wahrzunehmen, da auf diese Weise das konfliktträchtige und machtdurchzogene Zusammenspiel von Akteuren, Organisationen und Institutionen auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen deutlich wird – was eine Begründung für die Überlegungen des ersten Abschnitts schafft.

Im dritten Abschnitt werden exemplarisch einzelne Handlungsfelder gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen betrachtet, wobei in der Regel jeweils auch die Entstehung bzw. der Wandel des jeweiligen Handlungsfeldes in einer historischen Perspektive in den Blick genommen wird. Folgende Handlungsfelder werden untersucht: Sozialpolitik (Holger Backhaus-Maul und Martin Kunze), Verbraucherschutz (Jörn Lamla und Stefan Laser), Stadtentwicklung (Christiane Kleine-König), Vereins- bzw. Verbandssport (Sebastian Braun), Corporate Volunteering (Gabriele Bartsch und Christiane Biedermann) und Nachhaltigkeit (als Business Case) (Stefan Schaltegger). Der letzte Beitrag in diesem Abschnitt von Michael Aßländer behandelt Standards, Kodizes und Richtlinien, an denen sich Unternehmen zur Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung orientieren. Dieser Beitrag betont – im Gegensatz zum Beitrag von Kindermann im ersten Abschnitt, der sich auf europäische Regulierungen bezieht – die globalen Standards, die etwa von den Vereinten Nationen oder der International Labor Organization entwickelt wurden.

Insgesamt handelt es sich bei diesem Werk um den verdienstvollen Versuch, aus möglichst vielen Perspektiven das Feld der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen zu betrachten. Die durchaus interessanten Beiträge aus benachbarten sozialwissenschaftlichen Disziplinen wirken allerdings zum Teil wie ein Fremdkörper, da sie sich stärker mit Fragen disziplinärer Zuständigkeiten und Spezialexpertisen beschäftigen statt eigene Beiträge zu den jeweiligen Themen beizusteuern. Zwischen dem Blick auf die Rahmenbedingungen für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen auf der einen Seite und den (zum Teil etwas disparaten) Handlungsfeldern ihres gesellschaftlichen Engagements auf der anderen Seite vermisst man daher einen intensiveren Blick auf die internen Prozesse, Handlungslogiken, Akteure und Konzepte der Unternehmensethik in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und den von Staat, Non-Profit-Organisationen und weiteren Stakeholdern artikulierten Ansprüchen auf Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung.

[1]          Seitenzahlen ohne weitere Angaben beziehen sich alle auf das hier besprochene Buch.

 

Die Rezensentin

PD Dr. Bettina Hollstein

war von 1991 bis 1994 Promotionsstudium an der Sorbonne in Paris und an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und promovierte sich zu Wirtschaftsethik und Umwelt in Frankreich und Deutschland. Bis 1998 erwarb sie Berufserfahrung als Referentin an der BTU Cottbus und als Kanzlerin und Verwaltungsleiterin des Bildungszentrums des Bundesverbandes der Unfallkassen. Danach wurde sie wissenschaftliche Kollegreferentin des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt. Seit 2004 ist Bettina Hollstein Mitherausgeberin der Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (ZfWU). 2014 erfolgte die Habilitation zu Ehrenamt in handlungstheoretischer Perspektive.

bettina.hollstein@uni-erfurt.de

 

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