“We are obsessed with leadership. Thousands of studies and books are devoted to it, and we still want more.”1

Den beiden Professoren der Stanford Business School kann man wohl kaum widersprechen, wenn man sich die Zahl der Veröffentlichungen zum Stichwort “Leadership” ansieht. Bei Amazon.com sind unter dem Suchbegriff “Leadership” über 28.000 Buchtitel eingetragen (31.10.2017). Unter “Neuheiten” sind es zum selben Zeitpunkt und unter demselben Stichwort 124 Bücher.

Nun sind die aktuellen Zeiten und deren Herausforderungen durchaus dazu angetan, dass althergebrachte “Wahrheiten” überprüft werden. Die Digitalisierung sowie der demographische Wandel sind zwei Megatrends, die zu tiefgreifenden technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen geführt haben und weiterhin führen werden.

Diese Trends haben natürlich auch Einfluss auf den Umgang miteinander, nicht zuletzt im unternehmerischen Kontext und dort besonders hinsichtlich der Auswirkungen auf die Führungskultur.

Zwar ist das Thema “Führungskultur” im Grunde weder an eine Branche noch an eine bestimmte Unternehmensgröße gebunden. Dennoch sind die Implikationen von gesellschaftlichen Entwicklungen zum Beispiel auf mittelständische Unternehmen durchaus verschieden zu den Auswirkungen auf Konzerne – spezielle Herausforderungen eben, aber auch spezielle Chancen. Diesen Implikationen widmen wir uns in diesem Artikel.

Zunächst geben wir Ihnen in der gebotenen Kürze einen Überblick über die Megatrends “Digitalisierung” und “Demographischer Wandel” und erläutern Ihnen unsere Auffassung, nach der diese einen erheblichen Einfluss auf die wertebasierte Führungskultur im Mittelstand haben werden.

Im darauffolgenden Abschnitt zeigen wir Ihnen die Schlussfolgerungen, die wir daraus für alle wesentlichen Aspekte der Führungskultur ziehen und schließen diese dann mit einem kurzen Ausblick ab.

 

I. “Wir leben in einer VUCA-Welt”

Diesen oder ähnliche Sätze liest man in jüngster letzter Zeit immer öfter, wenn es um die Beschreibung der geänderten Rahmenbedingungen geht, unter denen Unternehmen organisiert und Mitarbeiter geführt werden.

Das Akronym VUCA steht für

  • Volatility (Volatilität, rasche Veränderlichkeit)
  • Uncertainty (Ungewissheit)
  • Complexity (Komplexität) und
  • Ambiguity (Mehrdeutigkeit).

Der Begriff wurde vor einigen Jahren von der US-Armee geprägt, um die extremen Bedingungen in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan und im Irak zu beschreiben.

Den veränderten Ausbildungsinhalten des US Army War College liegt dieses VUCA-Konzept zugrunde (McChristal 2015). Es beinhaltet einen Paradigmenwechsel in der Führung:

  • weg von Ansätzen der Problemlösungstechniken und des linearen Planens, um Unsicherheiten zu reduzieren;
  • hin zu einer aktiven, das heißt tätigen Auseinandersetzung mit der Unsicherheit, die ein höheres Maß an Agilität und Handlungsorientierung in der Führung erfordert.

Der Begriff macht eine schnelle Karriere. Das verwundert nicht, da er auf kurze und leichte Art und Weise viel von dem zusammenfasst, was wir in den letzten Jahren an Veränderung erleben. Ob es nun Begriffe sind wie sprunghafte Innovation, verkürzte Produkt- und Marktlebenszyklen, Disruption, Dynamik, Agilität oder sich selbst steuernde Organisationen.

Die Leitgedanken vieler Artikel finden sich im Konzept der VUCA-Welt wieder.

Angesichts der rasanten Entwicklungsgeschwindigkeiten in nahezu allen Lebensbereichen – Stichwort und Megatrend “Digitalisierung” – kann man dem Begriff VUCA durchaus bescheinigen, dass er die Situation zutreffend charakterisiert.

Ein Beispiel aus der Musikindustrie2 mag dies – stellvertretend für viele ähnliche Entwicklungen – belegen.

Das Grammophon als Gerät zur Aufzeichnung und Wiedergabe von Tönen, wurde bereits 1887 von Emil Berliner erfunden und am 26. September1887 zum Patent angemeldet. Als reines Abspielgerät war es der mechanische Vorläufer des Plattenspielers. Konsequenterweise prägte Berliner auch den Begriff Schallplatte. Den Beginn der Schallplatten-Vervielfältigung kann man im Jahr 1892 ansetzen, als erstmals von Nickel überzogenen Kupfer-Negativplatten Kopien aus vulkanisiertem Gummi (Hartgummi) gepresst wurden. Schellack wurde ab 1895 als Grundstoff in der Plattenindustrie eingesetzt.

Aus heutiger Sicht nahezu unfassbar: Im Grunde blieb die Schallplatte über einen Zeitraum von nahezu 100 Jahren unverändert, bis sie schließlich von der CD, der Compact Disc abgelöst wurde.

Mit der Einführung der digitalen Compact Disc (CD), die sich in der Fachsprache Audio-CD nennt, gingen ab Mitte der 1980er Jahre die Verkäufe und Produktionszahlen von Schallplatten immer rascher zurück. 1990 wurden rund doppelt so viele CDs verkauft wie LPs. Anfang der 1990er verkündeten die wichtigsten Konzerne der Phonoindustrie gemeinsam den „Tod der Schallplatte“. Fortan wurde nur noch auf die Audio-CD gesetzt, beziehungsweise später auf Weiterentwicklungen wie SACD und DVD-Audio, welche sich jedoch bisher nicht durchsetzen konnten.

Jahr Langspielplatte Compact Disc (ohne CD-Single)
1985 74,0 Mio. Stück 6,8 Mio. Stück
1986 68,8 Mio. Stück 13,3 Mio. Stück
1987 66,3 Mio. Stück 22,8 Mio. Stück
1988 57,6 Mio. Stück 39,2 Mio. Stück
1989 48,3 Mio. Stück 56,9 Mio. Stück
1990 44,7 Mio. Stück 76,2 Mio. Stück
1991 23,8 Mio. Stück 104,2 Mio. Stück
1992 5,1 Mio. Stück 131,8 Mio. Stück
1994 0,7 Mio. Stück 166,2 Mio. Stück
2001 0,6 Mio. Stück 133,7 Mio. Stück
2010 0,6 Mio. Stück 98,7 Mio. Stück
2011 0,7 Mio. Stück 96,9 Mio. Stück
2012 1,0 Mio. Stück 92,8 Mio. Stück
2013 1,4 Mio. Stück 88,0 Mio. Stück
2014 1,7 Mio. Stück 87,0 Mio. Stück
2015 2,1 Mio. Stück 84,0 Mio. Stück
2016 3,1 Mio. Stück 74,0 Mio. Stück

Tabelle 1: Absatzzahlen 1984-1994, 2001, 2010-2016 in der Bundesrepublik Deutschland
Quelle: Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft/Bundesverband Musikindustrie. Daten für 1990 ab Juli mit den neuen Bundesländern.

Die CD – das ist bereits an den oben aufgeführten Absatzzahlen erkennbar – wird das biblische Alter der Schallplatte nicht erreichen. Spätestens 1995, mit der Einführung des ersten tragbaren MP3-Players mit Speicherung auf der damals von ScanDisk und Siemens entwickelten Multimedia Card, war der Wachstumspfad der CD beendet. Anfang 1999 debütierte der MPlayer3 auf dem deutschen Markt. Bereits im September 2000 kam die erste Digitalkamera mit eingebautem MP3-Spieler von Fujifilm auf den Markt und immer mehr Geräte integrierten MP3-Spieler-Funktionen als eine von vielen Funktionen.

Und ja, und da war dann noch „one more thing …“3

Heute kann fast jedes Smartphone, jeder Mediaplayer oder DVD-Spieler als MP3-Spieler benutzt werden. Deshalb verschwinden MP3-Player, die nur Musik abspielen können, immer mehr aus den Haushalten.

Dadurch, dass Smartphones und Tablets immer mehr zu Universalgerät auch für das Musikhören wurden und sich gleichzeitig die Mobilnetze der dritten und vierten Generation immer mehr ausweiteten, wurde Streaming, dass bereits in den späten 1990er Jahren entstand, auch für unterwegs attraktiv.

Wir sind gespannt, wie sich die Technik in der Musikindustrie weiterentwickelt.

 

II. Demographischer Wandel

An einem zweiten Megatrend kommt man bei der Betrachtung der Führungskultur ebenfalls nicht vorbei: dem demographischen Wandel.

Der demografische Wandel beschreibt die Einwohnerzahl und wie sich die Bevölkerung nach Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, Regionen und so weiter zusammensetzt, wie sich diese Strukturen bisher entwickelten und wie sie langfristig bis zum Jahr 2060 vom Statistischen Bundesamt vorausgeschätzt werden. Hierbei werden Geburten und Sterbefälle ebenso saldiert wie Zuwanderungen und Abwanderungen.4

Im Ergebnis geht die letzte, dreizehnte Bevölkerungsvorausschätzung auf Basis 2013 davon aus, dass die Bevölkerung langfristig erheblich kleiner wird, wobei eine Fülle von Einflüssen je nach alternativen Annahmen zu mehr oder weniger Rückgang führt.

In der gesamtgesellschaftlichen Debatte ergeben sich daraus viele Fragen, die sich um den Erhalt unseres leistungsfähigen Sozialversicherungssystems drehen.

Es sind jedoch nicht nur die eingangs erwähnten großen gesamtgesellschaftlichen Themen zu betrachten, sondern auch – und durchaus damit zusammenhängend – die Fragen nach den Auswirkungen des großen Bevölkerungsschwunds auf den arbeitenden Teil der Einwohner zu beantworten:

  • Kann ein abnehmendes Potential an Erwerbspersonen aus inländischen Reserven und aus dem Ausland wenigstens teilweise ausgeglichen werden?
  • Gelingt die Sicherung eines quantitativ und vor allem qualitativ ausreichenden Fachkräfteangebots?
  • Oder behindern partielle Engpässe oder gar Mangellagen in wichtigen Branchen, entlegenen Regionen und weniger zahlungskräftigen Betrieben und Verwaltungen die wirtschaftliche Entwicklung und die öffentliche Daseinsvorsorge?
  • Was müssen Betriebe und Verwaltungen tun, um Nachwuchsmangel und Überalterungen ihrer Belegschaften zu vermeiden?
  • Reichen mehr und bessere Aus- und Weiterbildung, die berufliche Flexibilität der Arbeitsuchenden und die Konzessionsbereitschaft der Arbeitgeber, wenn freie Stellen länger oder ganz unbesetzt bleiben?
  • Was wird aus der Alterssicherung, dem Gesundheitssystem und der Pflege, wenn immer mehr Rentner viel länger als früher Ruhestandsleistungen beziehen wollen und die Zahl der Hochbetagten möglicherweise auf 10 Millionen in 2050 steigt?

 

Wirklich dramatisch erscheint der Rückgang der Bevölkerung im überwiegend erwerbsfähigen Alter von 20 bis unter 65 Jahren, nämlich von fast 50 Millionen auf gut 38 Millionen. Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre treten in den verdienten Ruhestand. Bis 2030 bleibt die Bevölkerungszahl knapp über 80 Millionen recht hoch. Waren es 2013 noch ein Fünftel, könnte 2060 ein knappes Drittel der Einwohner 65 Jahre und älter sein.5

 

III. Schlussfolgerungen für die Führungskultur

Die Digitalisierung und der demographische Wandel gelten zu Recht als zwei der großen Megatrends unserer Zeit. Und Digitalisierung ist ein Trend, der Veränderungen wie kein zweiter vorantreibt und beschleunigt.

Jetzt wissen wir sowohl aus der Arbeits- und Organisationspsychologie als auch aus der betrieblichen Praxis, dass Veränderungen – allemal in einer oft als feindselig empfundenen “VUCA-Welt” – untrennbar mit Widerständen verknüpft sind. Menschen gelten generell als eine Spezies, die ein gewisses Maß an Sicherheit durchaus zu schätzen weiß. Man denke nur an das böse Wort der “Komfortzone”, in der Menschen sich ganz gerne einrichten und die sie nur ungern verlassen. Auch die Bemühungen von Berater- und Trainergenerationen, Mitarbeiter und Führungskräfte mit den Geheimnissen des Change-Managements vertraut zu machen, waren bereits in der Vergangenheit nicht immer von Erfolg gekrönt. Und jetzt wird es auch noch VUCA, also noch schneller, noch unsicherer, noch komplexer und noch mehrdeutiger.

Was machen wir nun mit dieser Erkenntnis, welche Konsequenzen für unser Handeln ziehen wir daraus?

Halten wir es mit den marktschreierischen Parolen bei den großen politischen Themen? Grenzen dicht und Brexit? Degrowth und Wachstumswende oder “Entwachstum” im Sinne einer Reduktion eines Konsum- und Produktionswachstums?

Wirtschaftsunternehmen können sich noch weniger von solchen Trends abkoppeln als Staaten das zuweilen glauben tun zu können. Die VUCA-Welt der Digitalisierung ist eine Realität, die – so wenig wie der demographische Wandel – wegdiskutiert werden kann.

Gerade mittelständische Unternehmen spüren das ganz konkret im aktuellen betrieblichen Alltag. Was bedeutet es für die Führungskräfte und deren Arbeit, wenn sich die Dinge immer schneller ändern? Wenn die Halbwertzeit von Wissen und Gewissheiten immer kürzer wird? Wird die Führungskraft zum Bottleneck der Steuerung und Verhinderer schneller Entscheidungen?

Oder wird die Führungskraft von der Entwicklung einfach weggefegt und Peter Drucker hat ausgedient und hatte Unrecht, wenn er sagte:

“Only three things happen naturally in organizations: friction, confusion, and underperform-mance. Everything else requires leadership”?6

Drucker spricht interessanterweise nicht von „Leader’, sondern von „Leadership’. Leadership betont den funktionalen Aspekt der Führung. Leadership schließt die Führungskraft konzeptionell ein, geht aber deutlich darüber hinaus.

Der demographische Wandel in einer VUCA-Welt bedeutet, dass mit weniger Menschen mehr geleistet werden muss und das in einem komplexer werdenden Umfeld, dass sich immer rascher verändert.

Was bedeutet dies für das Leadership, die Führungskultur?

 

Normative Elemente der Unternehmensführung

Je volatiler die Umwelt, je größer die Ungewissheit der zukünftigen Entwicklung und je komplexer und mehrdeutiger die Zusammenhänge, desto weniger werden Unternehmen mit eindeutigen Einzelanweisungen geführt werden können. Positiv gewendet: in einer VUCA-Welt werden Orientierungshilfen wichtiger denn je.

Die sogenannten normativen Elemente der Unternehmensführung wie Mission, Vision, und vor allem Werte werden dabei eine herausragende Rolle spielen.

“Wenn aber die langfristigen Vorteile einer werteorientierten Unternehmensführung so offensichtlich sind, ist die Frage berechtigt, warum sich so viele Führungskräfte und Unternehmen derart schwer damit tun, werteorientiert zu führen. Meines Erachtens liegt ein gewichtiger Grund darin, dass für eine werteorientierte Unternehmensführung immer zwei wesentliche Voraussetzungen sein müssen. Es ist einerseits die Notwendigkeit einer langfristigen Definition der angestrebten Werte; denn Werte, die einer dauernden Veränderung unterworfen sind, werden nicht mehr als Werte erkannt. Andererseits sind es die Bereitschaft, die Fähigkeit und vor allem der Wille – wenn nicht gar die “Besessenheit” -, diese Werte auch wirklich zu leben, insbesondere als Führungskraft täglich vorzuleben, und dies nicht nur in guten Zeiten, sondern eben auch in schwierigen” (Hilti 2007).

Die Unternehmen tun also gut daran, die für sich passenden Werte zu formulieren und zu leben. Mission- und Vision-Statements sind keine leeren Worthülsen mehr, noch sind sie ein Grund für einen Arztbesuch (Schmidt 1980). Sie geben vielmehr Richtung und Orientierung, die in einer VUCA-Welt unerlässlich sind, um in Autonomie und Selbstverantwortung sowie im Sinne der Unternehmensziele entscheiden zu können.

Nicht zuletzt aus diesem Grund wird meines Erachtens der neue Ansatz eines “Führungsstils”, die “Authentische Führung” (siehe unten, Fazit) das gleiche Schicksal ereilen wie die “Charismatische Führung”. Sie werden keinen nachhaltigen Führungserfolg haben, weil sie extrem anfällig dafür sind, nicht auf den Nutzen aller Stakeholder, sondern auf den Machterhalt des Leaders ausgerichtet zu sein.

“The three most charismatic leaders in this century inflicted more suffering on the human race than almost any trio in history: Hitler, Stalin, and Mao. What matters is not the leader’s charisma. What matters is the leader’s mission” (Drucker 2008)

Unternehmensstrategie

Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch die Strategie im engeren Sine als Teil der Unternehmensführung erfolgskritisch. Die Planungs- und Anpassungszyklen werden aber kürzer sein, als dies früher der Fall war. Eine klare Zuweisung der Analysefelder und die Implementierung von “Frühwarnsystemen” zur Erkennung schwacher Signale werden an Bedeutung gewinnen.

Führungsstrukturen und Führungsprozesse

Traditionelle Organisationsformen und Führungsstrukturen (Linienorganisation, Stablinienorganisation, Funktionale Organisation, Divisionale Organisation, Matrixorganisation, Holdingorganisation u. ä.) mit ihren spezifischen Merkmalen und Prozessen (Stellenbeschreibungen, Arbeitsanweisungen u. ä.) werden – so die überwiegende Meinung – den aktuellen Erfordernissen einer VUCA-Welt nicht mehr gerecht: zu schwerfällig, zu langsam.

Der Weg scheint hin zu flexiblen Strukturen auf Zeit zu führen: Netzwerkorganisation, modulare Organisation oder virtuelle Organisation seien als Stichworte genannt (Laloux 2015; Robertson 2015).

In der mir bekannten Soziokratie-Literatur zieht sich das Prinzip der Autonomie wie ein roter Faden durch die Konzepte. Ich habe versucht anhand der soziokratischen Praxis und der mir bekannten Prinzipien einige Werte herauszuarbeiten, die dahinter zum Vorschein kommen:

  • Autonomie und Selbstbestimmung
  • Selbstorganisation und Selbstverantwortung der Mitarbeiter und Teams
  • Gleichwertigkeit aller Beteiligten, partnerschaftlicher Umgang
  • Empowerment und Wachstum
  • Offenheit und Transparenz
  • Pragmatismus und Produktivität (Effektivität und Effizienz)
  • Fairness, gerechter Ausgleich im Geben und Nehmen

In allen Ansätzen geht es – neben der Realisierung von Autonomie und Eigenverantwortung – darum, Entscheidungen rasch und möglichst nahe am Kunden zu treffen. Führungskräfte dürfen nicht mehr der Flaschenhals der Entscheidungsprozesse sein. Dies gilt insbesondere für kleinere mittelständische Unternehmen, die auf ihren Inhaber – den “Macher” – zugeschnitten sind.

Führungskultur im engeren Sinne

Führungskultur ist Teil der Unternehmens- oder Betriebskultur und umfasst die Gesamtheit der dominierenden Verhaltensmuster – also die Frage des WIE: Wie wird im jeweiligen Unternehmen beziehungsweise in einer Abteilung geführt (in Anlehnung an Marettek 2013, S. 110 ff.)?

Diese Verhaltensmuster prägen seit Jahrzehnten die Forschung über das, was gerne auch als Führungsstil bezeichnet wird. Ohne an dieser Stelle auf Details eingehen zu können, möchte ich im nachfolgenden Schaubild den aktuellen Stand zeigen und in der Folge kurz skizzieren.

Abb. 1: Full range leadership development, eigene Darstellung in Anlehnung an Sosik/Jung 2010.

 

Transformational Leadership, das seit einiger Zeit die aktuelle Führungsforschung beherrscht, zielt auf die Entwicklung von Fähigkeiten und Potenzialen bei Followern ab und möchte deren Blick über die eigenen Interessen hinaus hin zu den Interessen der Gruppe lenken, um so ein Bewusstsein für die Mission und Vision des Teams und des Unternehmens zu schaffen. Der Transformational Leader erkennt die Bedürfnisse des Unternehmens und seiner Mitarbeiter*innen und kann diese überein bringen; er kann eine Veränderung der Werte, Überzeugungen, Bedürfnisse und Fähigkeiten seiner Follower bewirken. Ihm gelingt es, die Wertvorstellungen der Mitarbeiter*innen an die Ziele der Gruppe beziehungsweise des Unternehmens zu knüpfen und durch die Formulierung eines erstrebenswerten Zukunftsszenarios ein Motivierungspotential herzustellen, das die intrinsische Motivation bei den Mitarbeiter*innen aktiviert. Transformational Leadership verspricht, die Weiterentwicklung und den Wandel im Unternehmen voranzutreiben.

“True Transformational Leaders raise the level of moral maturity of whom they lead. They convert their followers into leaders, they broaden and enlarge the interest of whom they lead” (Avolio/Bass 2002).

Grundsätzlich unterscheidet dieser Ansatz in zwei Führungsverhalten: Transactional Leadership und Transformational Leadership. Die vier charakterisierenden Elemente (auch als die Vier I’s bezeichnet) von Transformational Leadership sind:

  • Idealized Influence:
    Transformational Leader verhalten sich in einer Weise, die ihnen Respekt und Vertrauen einbringt und sie zu Rollenmodellen werden lässt. Sie gelten als verlässlich, sind bereit, die Interessen der Gruppe über die persönlichen Interessen zu stellen und werden hohen moralischen und ethischen Ansprüchen gerecht. Dieses Element sieht Bass als das Charisma eines Leaders, das ein notwendiges, jedoch nicht hinreichendes Element für Transformational Leadership ist
  • Inspirational Motivation:
    Der Leader stiftet Sinn, stellt seine Follower vor Herausforderungen und fördert den Teamgeist. Es gelingt ihm, seine Follower durch die Formulierung einer Vision und klarer Erwartungen auf eine gemeinsame Richtung einzuschwören und er geht mit Enthusiasmus und Optimismus voran. Kommunikation (z. B. Sprache, Symbole und emotional ansprechende Bilder) spielt hier eine wesentliche Rolle.
  • Intellectual Stimulation:
    Er regt die Kreativität und Innovationskraft seiner Follower an, indem er Annahmen hinterfragt und neue Wege sucht, althergebrachte Probleme zu lösen. Er fordert den Input seiner Follower und kultiviert eine Fehlerkultur, die die Bereitschaft, neue Ansätze zu wagen, fördert und nur konstruktive Kritik zulässt.
  • Individualized Consideration:
    Transformational Leader erkennen die individuellen Bedürfnisse ihrer Follower und bieten ihnen entsprechende Möglichkeiten. Sie sind präsent, fördern die Zwei-Wege-Kommunikation, agieren als Mentoren und delegieren. Dadurch entwickeln sie ihre Follower, so dass diese in der Zukunft selbst zum Leader werden können.

Unter Transactional Leadership werden drei Leader-Verhaltensweisen zusammengefasst:

  • Contingent Reward:
    Leader und Follower vereinbaren einen Austausch von einer zu erbringenden Leistung gegen eine zu erwartende Belohnung. Durch diesen Tauschhandel ist es beiden möglich, ihre Interessen zu befriedigen. Belohnungsinstrumente werden dem Leader in der Regel von der Organisation bereitgestellt (z. B. Pay for Performance), können aber auch individuelle Abkommen sein.
  • Active Management By Exception:
    Der Leader überwacht die Aufgabenerfüllung des Followers mit Hilfe von Prozessen und Systemen und schreitet ein, um Korrekturen vorzunehmen und um antizipierbare Fehler zu vermeiden. Er legt einen Korridor zur Aufgabenerfüllung und eine zulässige Abweichung fest und definiert die Folgen, die eine größere Abweichung hat.
  • Passive Management By Exception:
    Der Leader schreitet erst dann ein, wenn der Fehler begangen wurde und ein Problem bereits besteht. Er nutzt keine Überwachungsmechanismen zu Fehlervermeidung, sondern schürt bei den Followern die Angst davor, Fehler zu begehen.

 

Führungskräfte

Unternehmen brauchen Führungskräfte, die in einer VUCA-Welt positiv denken und optimistisch in die Zukunft schauen. Führungskräfte, die bei Veränderungen zuerst die Chancen wahrnehmen und erst dann die Risiken. Hierzu gehört eine Grundhaltung, die Veränderungen nicht als notwendiges Übel ansieht, sondern als Gestaltungsmöglichkeit, in der enormes Motivationspotential für die Führungskraft steckt.

Eine besondere Fähigkeit wird in diesem Zusammenhang an Bedeutung gewinnen: die Resilienz, also die psychische Widerstandskraft von Menschen (Berndt 2013). Diese Fähigkeit wird eine zunehmend wichtige Rolle spielen, wenn es um die Führungsaufgabe “Entscheiden” geht. Eine komplexe VUCA-Welt ist eben gerade nicht vorhersehbar: Entscheidungen unter Ungewissheit treten noch häufiger auf (anstelle von Entscheidungen unter Risiko in der Vergangenheit) und wirken noch belastender als dies bereits bei Entscheidungen in der Vergangenheit der Fall war. Effectuation als eine eigenständige Entscheidungslogik, die von erfahrenen Entrepreneuren in Situationen der Ungewissheit eingesetzt wird, kann wertvolle Hilfe leisten (Faschingbauer 2013).

Werteorientierung und Persönlichkeitsmerkmale, die – empirisch validiert – positiv mit unternehmerischem Erfolg zusammenhängen, sollten daher bei der Auswahl von Personal, vor allem bei Führungskräften, im Vordergrund stehen, nicht das rasch veraltende Wissen.

Das strukturierte Interview oder gar die “gesunde Menschenkenntnis” und das “Bauchgefühl” alleine sind nicht nur nicht genug, sie sind vor allem eines: wenig professionell.

Mitarbeiter*innen

Grundsätzlich sind dieselben Einstellungen, Eigenschaften und Fertigkeiten, wie sie oben für Führungskräfte dargestellt wurden, auch für Mitarbeiter hilfreich. Offenheit für Neues und eine sehr hohe Lernbereitschaft zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit werden ein absolutes Muss. Berufliche Karrieren werden nicht frei von Brüchen und Neu-Orientierungen bleiben. Hinzukommen wird ein höheres Maß an Eigenverantwortung, was von den Mitarbeiter*innen abverlangt werden wird.

Die Weiterbildungsangebote in den mittelständischen Betrieben sollten daher einen stärkeren Fokus auf persönlichkeitsentwickelnde Konzepte legen, als dies heute der Fall ist.

 

Fazit

Das Konzept Führung ist also nach wie vor aktuell und beschäftigt die Führungsforschung noch immer.

Ob die Ideen und Theorien aufgehen, wird sich ohnehin an den bislang auch üblichen Erfolgsmaßstäben der transformationalen Führung nimmt sowohl in der aktuellen Führungsforschung als auch in der betrieblichen Praxis einen wichtigen Platz ein. Obgleich die als “Nachfolger” der transformationalen Führung gehandelten Konzepte Authentische Führung (Banks/McCauley/Gardner/Guler 2016), Ethische Führung (Ng/Feldmann 2015) oder Servant Leadership (Kaehler/Krost 2010) teilweise zusätzliche Erklärungen und Erkenntnisse zum Führungserfolg liefern, kann es angesichts der vorliegenden Befunde meines Erachtens noch keinen Anspruch auf Ersetzen der transformationalen Führung geben. Transformationale zeigen: “Am Ende kann ich den Erfolg unserer neuen Führungskultur nur am Produkterfolg messen”, sagte der Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth bei einem Interview zum Projekt “Leadership 2020” bei Daimler. “Ziel ist immer: Ein besseres Produkt für unsere Kunden und das schneller als der Wettbewerb”.7

Angesichts des demokratischen Wandels wird der Wettbewerb um hoch qualifizierte Mitarbeiter*innen in Zukunft noch härter werden. Verschärfend hinzu tritt der Trend der Urbanisierung oder negativ formuliert, die Landflucht. Dies macht vielen Mittelständlern abseits der Ballungszentren das Leben zusätzlich schwer.

Andererseits bietet die Führungskultur gerade für mittelständische Unternehmen eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich im Kampf um gute Mitarbeiter*innen zu positionieren. Wie formulierte Hilti so prägnant (Hilti 2007, S. 201):

“Wenn bei einem über Jahre hinweg kontinuierlich erfolgreichen Geschäftsgang bei den regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen über 92 Prozent ihre Bereitschaft ausdrücken, sich persönlich voll einzusetzen, um das Unternehmen Hilti erfolgreich zu machen, und nicht weniger als 85 Prozent ihren Stolz zum Ausdruck bringen, beim und für das Unternehmen Hilti zu arbeiten, dann sind das klare und eindeutige Signale, dass werteorientierte Unternehmensführung nicht irgendeine philanthropische, schöngeistige Managementübung ist, sondern eine ganz entscheidende Managementfähigkeit und Kompetenz, die zu wesentlichen unternehmerischen Erfolgsfaktoren wird:

  • im dauernden Streben nach einer Spitzenstellung und somit im ständigen Kampf gegen Mittelmäßigkeit
  • zur nachhaltigen Differenzierung im globalen Wettbewerb, denn gelebte Werte und Unternehmenskulturen lassen sich nicht kopieren
  • im weltweiten Kampf um die besten Talente, in der Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber.”

Die Führungsaufgabe bleibt also, was sie immer war: eine spannende Herausforderung, die ein hohes Maß an Verantwortung und persönlicher Integrität bedarf.

 

Fußnoten:

1) Pfeffer, J. – Sutton, R. (2006) (Hg.): The Half-Truths of Leadership. Stanford Graduate School of Business.

2) https://de.wikipedia.org/wiki/Grammophon

3) Die Einführung des Apple iPhone im Januar 2007 durch Steve Jobs: https://www.bing.com/videos/search?q=one+more+thing+iphone&&view=detail&mid=300F333B9D614A0133C5300F333B9D614A0133C5&FORM=VRDGAR

4) Fakten und Einschätzungen weitestgehend in Anlehnung an die Bundeszentrale für politische Bildung, online unter: https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarktpolitik/187836/demografischer-wandel

5) 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015 S. 20, online unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/VorausberechnungBevoelkerung/BevoelkerungDeutschland2060Presse5124204159004.pdf?__blob=publicationFile

6) https://journal.accj.or.jp/peter-drucker-on-leadership/

7) http://www.horizont.net/marketing/nachrichten/Leadership-2020-Wie-Daimler-den-Kulturwandel-anstoesst-143745

 

Literaturliste:

Avolio, B. J. – Bass, B. M. (2002): Developing potential across a full range of leadership. Cases on transactional and transformational leadership. Mahwahs.

Banks, G. C. – Davis McCauley, K. – Gardner, W. L. – Guler, C. E. (2016): A meta-analytic review of authentic and transformational leadership: A test of redundancy. Leadership Quarterly, 27, pp. 634-652.

Berndt, Ch. (2013): Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out. München 2013 (2. Aufl. 2015).

Drucker, P. F.: Managing the Non-Profit Organization: Principles and Practices, zit. nach: https://www.goodreads.com/author/quotes/12008.Peter_F_Drucker

Faschingbauer, M. (2013): Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln. 2., erw. u. aktual. Aufl., Stuttgart 2013.

Hilti, M. (2007): Werteorientierte Unternehmensführung. In: Mohn, L. et al. (Hg.) (2007): Werte – Was die Gesellschaft zusammenhält. Gütersloh, S. 199-216.

Kaehler, B. – Krost, M. (2010): Servant Leadership – Die Führungskraft als Diener? PERSONALFÜHRUNG 6/2010.

Laloux, F. (2015): Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, München 2015.

Marettek, Chr. (2013): Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, online unter: http://www.demokratie-leben.org/wp-content/uploads/2015/07/Marettek-2013-Wirksames-Management-f%C3%BCr-%C3%B6ffentliche-Einrichtungen_S-30-74.pdf

McChristal, Stanley (2015): Team of teams. New York.

Ng, T. W. – Feldmann, D. C. (2015): Ethical leadership:Meta-analytic evidence of criterion-related and incremenal validity, Journal of Applied Psychology, 100, pp 948-965.

Pfeffer, J. – Sutton, R. (2006) (Hg.): The Half-Truths of Leadership. Stanford Graduate School of Business.

Robertson, B. J. (2015): Holacracy: Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt, München 2015.

Schmidt, H. (1980): “Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.”, Der Spiegel.

Sosik, J. J. – Jung, D.I. (2010): Full range leadership development, Pathways for people, profit and planet. New York.

 

Der Autor

Michael Kohlhaas

Michael Kohlhaas, Dipl.-Kfm. und Master of Organizational Psychology, ist Experte für Führung im Mittelstand. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der 100PersEnt GmbH & Co. KG und Vorstandvorsitzender der „Manufaktur für Führungskultur im Mittelstand e.V.“

 

Kontaktdaten:
07472/ 167 4546
E-Mail: m.kohlhaas@100persent.de

Rottenburg im November 2017; © 100Persent GmbH & Co. KG

 

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