Mit dem EU-Kapitel zur Nachhaltigkeit sollen im Zuge der TTIP-Verhandlungen Umwelt- und Sozialstandards gestärkt werden. Ohne Verbindlichkeit werden diese jedoch ins Leere laufen.

Glaubt man dem von der EU im November 2015 vorgelegten Verhandlungsvorschlag, dann soll im Zuge des TTIPAbkommens vor allem das Kapitel Trade and Sust ainable Development für Nachhaltigkeit sorgen. Im Fokus stehen hier rahmengebende Prinzipien zur nachhaltigen Entwicklung, Standards zum Arbeits- und Umweltschutz sowie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Reponsibility, CSR). In diesem Zusammenhang war auf Seiten der EU bereits vollmundig von „ambitionierten Nachhaltigkeits- und Umweltstandards im Sinne des Goldstandards“ die Rede. Doch ist das wirklich glaubhaft?

Seit die TTIP-Verhandlungen Mitte 2013 gestartet sind, ging es stets im Kern darum, dass die EU und die USA – unter dem Deckmantel der regulatorischen Zusammenarbeit und Konvergenz – künftig Vorschriften und Gesetze im gegenseitigen Einvernehmen vorschlagen und verabschieden möchten. Dabei sollen diese auf Handelsbeschränkungen geprüft und solche frühzeitig vermieden werden. Dies betrifft auf EU-Ebene den gesamten Bereich des Verbraucherschutzes sowie der Umwelt- und Sozialgesetzgebung – und damit die Themen Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte ebenso wie Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards. Dass TTIP damit nicht nur höhere Zölle und ungleiche Standards zu Fall bringen soll, wird deutlich. Das Gleiche gilt für CETA, das EU-Handelsabkommen mit Kanada, welches als Vorlage für TTIP dient. Insofern geht dieser Ansatz drastisch über traditionelle handelsbezogene Aspekte hinaus.

Auf Seiten der Unternehmen mag sich eine Kompatibilität der Gesetzgebung oft kosteneinsparend (und damit gewinnbringend) auswirken. Mit Blick auf den Umwelt- und Verbraucherschutz dagegen könnte dies bedeuten: Dort, wo europäische und US-Gesetzgebung besonders weit auseinanderklaffen – wie etwa bei Chemikalien, Kosmetika oder Lebensmitteln – ließe sich ein höheres Schutzniveau für Verbraucher und Umwelt unter Umständen nur noch sehr schwer durchsetzen. So sollen im Hinblick auf die stark kritisierten Investitionsgerichtshöfe die Umwelt- und Sozialgesetzgebung angeblich zwar ausgenommen werden. Dennoch bleibt die Gefahr, dass Unternehmen im Zweifelsfall Klagen auf Investitionsschutz anstrengen. Beispielsweise könnten betroffene Investoren Entschädigungsklagen einreichen, sobald sich ihr Investitionsumfeld aufgrund von Gesetzesverschärfungen zu verschlechtern droht. Damit könnte der „Regulatory Chill-Effekt“ in Kraft treten. Dieser hält den Gesetzgeber im Zweifelsfall davon ab, ein höheres Schutzniveau zu erlassen.

Die zwischen der EU und den USA prinzipiell gravierenden Unterschiede in puncto Regulierung werden unter anderem beim Aspekt der Vorsorge deutlich. Dort, wo die EU bei fehlender Gewissheit auf das Prinzip der Vorsorge setzt, wird vorbeugend gehandelt, um Schäden zu vermeiden. In den USA dagegen gilt ein Produkt meist so lange als sicher, wie es keine wissenschaftlich gesicherten Beweise für dessen Schädlichkeit gibt. Diese unterschiedlichen Ansätze beeinflussen bei TTIP die Möglichkeiten des jeweiligen Importeurs, einen Import zu untersagen. So wird im EU-Vorschlag zum TTIP-Nachhaltigkeitskapitel zwar ein Vorsorge-Ansatz erwähnt – doch lediglich in Bezug auf Arbeitnehmerrechte, und nicht ausdrücklich auch mit Blick auf den Umweltschutz. Im SPS-Kapitel zur Lebensmittelsicherheit wiederum befindet sich ein nur schwach ausgeprägtes Vorsorgeprinzip, das lediglich vorläufige Maßnahmen erlaubt. Anders sieht es im Handelsabkommen CETA aus: In puncto Vorsorge sind die Nachhaltigkeitskapitel zu Arbeit und Umwelt etwas besser ausgekleidet, im SPS-Kapitel gilt Ähnliches wie bei TTIP. Doch ob das ausreicht, um im Streitfall kritische Maßnahmen zu verteidigen, kann dann erst der neue Gerichtshof entscheiden.

Unter dem Strich stellen in beiden Abkommen unterschiedliche Regulierungsphilosophien sowie die Intransparenz der Prozesse ein großes Manko dar. Auch ist es derzeit möglich, dass in einem parallelen Prozess zur Revision von EU Gesetzgebungen (REFIT) die von der US geltend gemachten Handelshemmnisse – worunter auch das Vorsorgeprinzip fallen kann – vorrangig bereits jetzt nebenbei mit einfließen. Angesichts der Tatsache, dass der Lissabon-Vertrag zur europäischen Umweltpolitik auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung gründet, ist hier ganz besondere Achtsamkeit gefragt. Denn vor allem im Lebensmittelbereich lauern gefährliche gesetzliche Fallstricke – in Bezug auf Wachstumshormone ebenso wie bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln oder chemischen Substanzen in Kosmetikprodukten.

Dies gilt in ähnlichem Maße auch für das Thema Arbeitnehmerrechte. „Die Arbeitgeber sind in den Vereinigten Staaten extrem gewerkschaftsfeindlich“, warnte bereits 2012 der Bericht des Internationalen Gewerkschaftsbundes „über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten“. Tatsächlich haben die USA bis heute nur zwei der insgesamt acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert: die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr. 105, 1957) und das Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr. 182, 1999). Dabei sind sie völkerrechtlich sogar dazu verpflichtet, alle acht Kern-Arbeitsnormen zu ratifizieren und umzusetzen! Insofern scheint es kein Wunder, dass der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange, im Zuge der 12. Verhandlungsrunde öffentlich „ein TTIP ohne Gefahr von Sozialdumping“ forderte – denn solange die genannten ILO-Abkommen von den USA nicht unterzeichnet wurden, gelten sie schlichtweg als unverbindlich.

Immerhin: In Sachen Corporate Social Responsibility (CSR) beinhaltet der TTIP-Entwurf sogar eine eigene Klausel. Diese weist auf die Unternehmensverantwortung und Rechenschaftspflichten von Investoren des jeweiligen Vertragspartners im Gastland hin. Positiv hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die CSR-Definition der EU von 2011 umfassend berücksichtigt wurde. Auf der anderen Seite jedoch wird CSR wieder einmal lediglich als freiwilliges Instrument deklariert. Der Verdacht liegt nahe, dass dies der Lobbyarbeit von BusinessEurope, dem europäischen Arbeitgeberverband, zu verdanken ist. Als weiteres Manko kommt hinzu, dass es ausgerechnet dort an konkreten Verfahren zur Umsetzung von CSR im Kerngeschäft, den Betriebsabläufen und der Wertschöpfungskette – wo es ursprünglich angesiedelt werden soll – fehlt.

Stichwort Nachhaltigkeit: Im Rahmen einer Studie der Oekom Research erhielten US-Unternehmen hier deutlich schlechtere Noten als EU-Unternehmen. So schnitt lediglich jede zehnte untersuchte US-Firma (EU: mehr als ein Drittel der Unternehmen) im Nachhaltigkeitsrating „gut“ ab. Sollte im Zuge der TTIP-Verhandlungen hier eine starke Angleichung erfolgen, wäre dies aus Sicht der Nachhaltigkeit ohne Frage kritisch zu beurteilen. Angesichts derartiger Zahlen mag es zudem kaum verwundern, dass aktuellen Umfragen zufolge nur noch 15 Prozent der Deutschen und 17 Prozent der US-Amerikaner TTIP als „gut“ bezeichnen. Es scheint an der Ausrichtung des TTIP-Abkommen zu liegen, die als nicht ausreichend gemeinwohlorientiert empfunden wird.

Im Grunde steht letztlich für jedes einzelne TTIP-Kapitel eine Frage im Mittelpunkt: Inwieweit lassen sich die verschiedenen Verpflichtungen tatsächlich durchsetzen und sind sie im Falle von Verstößen sanktionsbewehrt? Helfen soll hier in der Regel ein so genannter Staatenzu-Staaten-Streit-Beilegungsmechanismus – mit einer Ausnahme: Im EU-Vorschlag zur Nachhaltigkeit ist ein solcher gegenwärtig noch nicht vorgesehen. Das hat zur Folge, dass mögliche Verletzungen des Umwelt- oder Arbeitsschutzes schlichtweg nicht einklagbar wären. Insofern würden die eigentlich vereinbarten, vermeintlich weitreichenden Verpflichtungen zum Umwelt- und Arbeitsschutz im Zweifelsfall keinerlei Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen (wie etwa Klagemöglichkeiten oder Geldstrafen) nach sich ziehen – und damit schlichtweg unverbindlich bleiben.

Zum Glück ist in dieser Hinsicht das letzte Verhandlungswort noch nicht gesprochen. Ob eine realistische Chance auf mehr Nachhaltigkeit in Sachen TTIP besteht, ist indes völlig offen. Da US-Präsident Barack Obama im Januar 2017 abtreten wird, scheint ein TTIP-Abschluss unter seiner Regentschaft zumindest unwahrscheinlich. Und welcher US-Präsident das Amt im Anschluss antreten wird, ist nicht nur für TTIP insgesamt, sondern auch für die Nachhaltigkeit entscheidend. Eine finale Bewertung über Nachhaltigkeitsaspekte ist insofern momentan ausgeschlossen.

Zumindest so viel scheint klar: Wenn es schon darum geht, eine „transatlantische Gemeinschaft“ unter TTIP zu begründen, dann sollte diese auch auf einem soliden Nachhaltigkeits-Fundament stehen. Wichtig ist dabei, dass die Politikkohärenz, die in den EU-Verträgen – aber auch im Pariser Klimaabkommen, der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte – verankert ist, nicht nachgeordnet respektiert wird. Denn mit TTIP sind entscheidende und kaum reversible Weichenstellungen geplant – vom enormen Rückschritt bis hin zu deutlichen Verbesserungen scheint in diesem Punkt noch alles möglich. Wenn auch nicht in erster Linie zu diesem Zweck verhandelt, könnte sich TTIP letzten Endes sogar zu einem wichtigen völkerrechtlichen Instrument in Sachen Nachhaltigkeit entwickeln. Nur ist im EU-Entwurf davon bislang noch nichts zu erkennen.

 

Autorin

Katharina Knoll

Katharina Knoll verfügt über Projekt- und Expertenerfahrung in den Themenfeldern Nachhaltigkeit und Transformation. Dabei sind Ihre Schwerpunkte nachhaltige Unternehmensführung, nachhaltiger Konsum und Verbraucherschutz. Sie konzipiert und leitet seit 5 Jahren interdisziplinäre Projekte, Fachtagungen und Workshops an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft.

Im Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE) ist sie Mitglied des Verbandsvorstands – die Bereiche Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und die Nachwuchsförderung sind ihre primären Zuständigkeitsbereiche. Sie ist Teil des Chem4Chem Netzwerkes und Autor des Impulspapiers “Unternehmensengagement der Chemie- und Pharmabranche 2018”.

Katharina Knoll hat einen Abschluss als Diplom Kauffrau und Diplome du CESEM Méditerranée mit dem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und Marketing von der University of Applied Sciences Bremen und der Kedge University Marseille.

knoll@dnwe.de

 

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